09.06.2025
über Matthäus 16,13-19 (Lut17); gehalten im Freiberger Dom St. Marien von Dr. Gunnar Wiegand, Pfarrer des Freiberger Doms
Der Predigttext Matthäus 16,13-19 (LUT17) wurde als Evangelium verlesen.
Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus Amen. Stille…
Liebe Gemeinde,
seit Mittwoch steht nun die farbige Nachbildung der Goldenen Pforte am Hauptportal. Wie viel begeisterte Rückmeldungen habe ich enthalten. Diese Abbildung ist richtiggehend zum Tourismusmagneten geworden. Immer wieder Leute die Fotos machen. Hier auch nochmal der Dank an alle, die das ermöglicht haben in der Idee und der praktischen Umsetzung und der Finanzierung.
Die Goldene Pforte. An den gelben Farbflächen kann man erkennen: hier war wirklich einmal Gold angebracht. Wie muss die originale Goldene Pforte hier hinter der Tür an der Westfassade des romanischen Vorgängerbaus die Freiberger im Mittelalter beeindruckt haben… Ich stelle mir vor: Hufgetrappel, Waffengeklirr. Heinrich der Erlauchte reitet mit seinem Tross von der Burg am Schlossplatz den Weg über die Kirchgasse zur alten Marienkirche. Die Pforte von Weitem sichtbar. Gregorianische Gesänge und Weihrauchgeruch dringen aus dem inneren. Am Domplatz angekommen durchschreiten er und viele andere Freiberger dieses Portal. Die Der Innenraum öffnet sich…. In all seiner Herrlichkeit.
Goldene Pforte. Die irdische Abbildung des Himmels… ein bescheidener Eindruck, wie sich die Menschen den Eingang in den Himmel vorgestellt haben… hier in Freiberg ohne bösartige Quälerei von irgendwelchen Dämonen… nein, das kleine Jesus-Kind sitzt auf dem Schoß seiner Mutter Maria umgeben von den Cherubim… daneben der Verkündigungsengel, Joseph und die drei Weisen aus dem Morgenland. Eine friedliche Szene aus dem Matthäusevangelium. Die Menschen sollen sich willkommen fühlen. Sie sind eingeladen zu Jesus. Die Menschen huldigen Jesus. Er begrüßt sie.
Eine Pforte ist ja erst einmal nicht anderes als eine riesige Tür. Und eine Tür hat ein Türschloss, das aufgesperrt und zugeschlossen wird. Im heutigen Evangelium wird Petrus ein solcher Schlüssel für das Himmelreich zugesprochen (als Bild im übertragenen Sinn): Jesus sagt: „Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: Was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein.“ Was für eine Ehre, was für eine schöne und verantwortungsvolle Aufgabe für den Jünger. Jesus wendet hier ein sogenanntes Investiturorakel für hohe Beamte des Davidischen Hofes auf Petrus an (Jes 22,21-23). Er hat eine Vorbildfunktion. Petrus bekommt von Jesus Vollmacht über das Gebilde, das nach seiner Auferstehung noch entstehen wird. Ja eine besondere Ehre, eine besondere Binde- und Lösegewalt. Und diese Aufgabe kommt nun in einem zweiten Schritt der Kirche zu. Unsere Goldene Pforte eine Erinnerung an diese Aufgabe, an diesen Zuspruch von Jesus.
Erst vor kurzem habe ich einmal den Schließdienst für den Dom übernommen. Ich kenne ganz praktisch, was es bedeutet diese Goldene Pforte zuzusperren. Sie können sich nicht vorstellen, was es da alles zu beachten gilt, welche Riegel alle eingepflockt sein müssen, welche Türschlösser mit unterschiedlichen Schlüsseln herumgedreht werden müssen, welche Knöpfe gedrückt und welche Alarme aktiviert werden müssen. Was für ein Stress – wo ich so ein Technik-Analphabet bin. Ja, „ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben“ – sagt Jesus so lapidar zu Petrus. Da hat er sich wahrscheinlich geschmeichelt gefühlt, auserwählt… hat er geahnt, was es bedeutet, für die Kirche zu binden und zu lösen?
Schlüsselgewalt, Binde- und Lösegewalt. Im ersten Moment klingt das recht martialisch. Es ist aber ganz wörtlich zu verstehen: Walten im Sinn eines Auftrags. Kirche hat den Auftrag zu binden und zu lösen. Ich verstehe das so: Kirche kommt die zentrale Funktion in der Vermittlung von Welt und Himmel zu. Das was hier auf der Erde, im jetzigen Leben passiert hat Auswirkungen auf das jenseitige Leben… Nach meiner Wahrnehmung steht aber diese Binde- und Lösegewalt der Kirche heute vor zwei großen Herausforderungen, vor zwei Spannungen:
1. Die erste Spannung: Die Welt ist nicht selbstverständlich gottgläubig, wie es die Menschen zur Zeit von Jesus waren, oder zur Zeit von Heinrich dem Erlauchten oder zur Zeit der Entstehung der wunderbaren Ratswahlkantate Ihr Tore zu Zion. Nach meiner Wahrnehmung leben wir in einer sehr selbstbezogenen Welt. In dieser Welt steht die eigene Leistung im Vordergrund, die Selbstdarstellung, ja vor allem die Selbstgenügsamkeit. Mit dieser Haltung braucht es vermeintlich Gott nicht als Gegenüber. Da hat christliche Religion keinen Platz. Gebote stören. Sie sind unbequem, weil sie sehr handfest das eigene Handeln in Frage stellen. Auch das Gemeinwesen, das Recht wird zum Störfaktor oder gnadenlos zur Selbstbereicherung instrumentalisiert. Egoismus und Machtstreben sind die Folge. Es wird immer schwieriger, die Interessen einer Gemeinschaft in einer Stadt oder einem Land zusammenzubringen. Mich macht es traurig. Wie freue ich mich in der Bach-Kantate über das Bild eines gesellschaftlichen Gegenentwurfs: O Freiberger [Leipziger] Jerusalem, vergnüge dich an deinem Feste! Der Fried ist noch in deinen Mauern, es stehn annoch die Stühle zum Gericht, und die Gerechtigkeit bewohnet die Paläste. Ach bitte, dass dein Ruhm und Licht also beständig möge dauern!
Und damit stellt sich die Frage der Relevanz der Schlüsselgewalt der Kirche. Hat Jesu Wort an Petrus überhaupt eine Bedeutung für ein Gemeinwesen, das diese Botschaft gar nicht hören will? Ich bin der Überzeugung: Jesus hat der Kirche diesen universalen Auftrag hinterlassen. Kirche muss beharrlich auf das Bekenntnis zu Christus hinweisen. In der Mitte des Dialogs zwischen Jesus und Petrus steht der zentrale Satz: Du, Jesus, bist der Christus, des lebendigen Gottes Sohn… so wie Jesus in der Mitte des Tympanons der Goldenen Pforte sitzt. Und nur aus diesem Bekenntnis leitet sich dann Jesu Zusage an seine Kirche ab. Die Schlüsselgewalt ist und bleibt die „enge Pforte“, die ins Leben führt.
- Nur hier kommen wir vor Jesus Christus im gemeinschaftlichen Gebet zusammen… womit wir ja vor allem an Pfingsten erinnern.
- Nur hier hören wir gemeinsam Gottes Wort. Nur hier empfangen wir sein Heiliges Sakrament.
- Und nur in der Kirche kann Gott Schuld vergeben
- Nur durch die Sündenvergebung können Menschen mit der Gemeinschaft wieder versöhnt werden. Andernfalls bleiben sie auf sich bezogen… isoliert, bestenfalls verquast, im schlimmsten Fall bösartig und verloren.
- Nur über den Glauben öffnet sich für den Menschen der Blick für Gottes Reich. Nur im Glauben können wir die großartige Botschaft der Goldenen Pforte als Himmelstür erfassen. Nur im Glauben öffnet sich für den Menschen der Blick für das Paradies. Ich will das in einem wunderbaren Bild formulieren. Meine Mutter gebraucht es immer wieder, wenn wir in einer Unterhaltung mal auf den Tod zum sprechen kommen. Sie sagt: „Ich würde mir nur eines wünschen: ab und zu vom Himmel herabschauen und sehen wie es in der Familie weitergeht. Und dann mit allen lieben Menschen wieder im Himmel wieder zusammen sein.“
Aber den Weg zur Kirche muss jede und jeder einzelne selber finden, muss jede und jeder einzelne immer wieder selber beschreiten. Dieser Turn von der Selbstbezogenheit hin zur Gemeinschaft der Heiligen und damit geläutert in das Gemeinwesen: diesen Weg muss jede und jeder selbst beschreiten. Den Wunsch nach dem Blick aus dem Himmel, der kann nur im Einzelnen geweckt werden. Offen ist unsere Gemeinde!
2. Die zweite Spannung. Die Kirche ist nicht perfekt. Die Kirche ist ja gar nicht per se ein besserer Ort. Der Schließdienst des Doms ist wirklich nicht das Paradies auf Erden. Die Pflege von Grundstücken und Gebäuden bringt einen Haufen nervenaufreibende Pflichten mit sich. Als Pfarramtsleiter sehe ich, mit wie viel Bürokratie auch die Leitung der Kirche zu tun hat. In der Kirche fehlen Pfarrerinnen und Pfarrer – womit viele Gemeinden alleine gelassen sind. Uns fehlt es an Kräften an allen Ecken und Enden – handfest und finanziell. Ich sehe wie schwer sich die Kirche in den öffentlichen Debatten tut, zwischen den vielen Erwartungshaltungen… entweder der Vorwurf: „Ihr seid zu politisch“ und im selben Atemzug „Ihr mischt euch zu wenig ein“. Ich nehme wahr, wie schwer sich Menschen damit tun, dass Kirche demokratisch organisiert ist und so wie unsere Gesellschaft insgesamt ein breites Meinungsspektrum abbildet…
Ja, Kirche ist nicht perfekt und Kirche ist v.a. auch nicht eindimensional. Und ich gehöre auch ganz klar zu den Theologen, die sagen: wir können auch gar keine perfekte Kirche schaffen. Wir können das Reich Gottes hier auf Erden nicht antizipieren. Im Gegenteil: dort, wo Kirche versucht hat, sich an die Stelle des Reiches Gottes zu stellen, ist sie oft gescheitert oder hat sich gar kollektiv versündigt.
Was bleibt dann? Der Glaube an Jesus Christus, so wie ihn das Petrusbekenntnis oder die Goldene Pforte in die Mitte rücken. Die Hoffnung, dass in unserem Tun und Treiben auch uns die Schlüssel des Himmelreichs übertragen sind. Es bleibt das demütige Gebet. Und es bleibt übrig, das was wir haben: unser Bemühen, Zeugnis vom Himmel zu geben. Für die Freiberger in den nächsten zwei Wochen etwas Schönes bieten. Noch immer gehen mir die Bilder und Klänge des gestrigen Abends der Nacht der Goldenen Pforte durch den Kopf. Noch immer bin ich beschwingt von den herrlichen Klängen der Pauken und Trompeten der Kantate. Und ich freue mich schon auf die anstehenden Andachten, Konzerte, das Symposium und das LEGO®-Projekt für die Kinder.
Das Bild der Goldenen Pforte am Westeingang ist ein Abbild der einstigen Pforte. Farbenfroh, prächtig, goldverziert. Der Blick auf die echte Goldene Pforte ist natürlich auch immer noch tief beeindruckend. Aber er zeigt auch: das Gold ist längst abgeblättert, die Farbe abgebleicht, ein Schutzbau muss sie bewahren, die Salze zerfressen dennoch von unten das Gestein… wir müssen sanieren. Ja, diese Welt ist vergänglich. Das Reich Gottes können wir nicht selber bauen. Wir können nur einen bescheidenen Spiegel schaffen… zwei schöne Festwochen mit vielen Gebeten und Konzerten…. Wir können nur demütig an die Öffentlichkeit gehen und um Unterstützung für eine Sanierung bitten… und dann können wir hoffen: Gott ist da irgendwie mit dabei. Von ihm kommen die Schüssel des Himmelreichs… auch für Freiberg. O Freiberger [Leipziger] Jerusalem, vergnüge dich an deinem Feste! … Ach bitte, dass dein Ruhm und Licht also beständig möge dauern!
Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
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