11.05.2025
über Jesaja 40,26-31gehalten im Rahmen eines inklusiven Gottesdienstes im Freiberger Dom St. Marien von Dompfarrer Dr. Gunnar Wiegand
Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde,
wie gerne mache ich manchmal nächtliche Spaziergänge… alles ruhig, der kühle und klare Himmel über mir… und dann das Funkeln der Sterne im Dunkel des Weltalls. Ich staune über diese gewaltige Schöpfung… über dieses riesige Universum… so schön… eigentlich müsse ich sagen, so erhaben… ich stelle mir vor wie ein Schriftgelehrter, nennen wir ihn Jesaja, vor vielen Jahrhunderten in Babylon bei einem Abendspaziergang ebenso in den Himmel schaute… auch ihn überkam dieses Gefühl der Erhabenheit… er musste es niederschrieben… „Richtet eure Augen nach oben … ! Seht ihr dort das Heer der Sterne? Aus der Menge, vielfältig und stark, darf kein einziger fehlen.“
Ich fühle mich tief verbunden mit diesem Mann…
Dann aber ist da noch etwas, was mich so an dieses Bild des Jesaja fesselt… der Anblick des gestirnten Himmels lenkt mich zum Kern meiner tiefsten Glaubensüberzeugung… der gestirnte Himmel über mir ist der Dreh- und Angelpunkt meines Glaubens… denn dieser gestirnte Himmel zeigt immer wieder:
- Da ist zum einen diese Erhabenheit selber, das Staunen über dieses Millionenfache Funkeln in der Höhe…
- erforsche diese Welt… dringe in das Universum fort… komm dieser Ordnung auf die Spur… da ist eine Ordnung zu entdecken… die sich hinter den oberflächlichen Erscheinungen befindet… sie verweist auf die großartigen Leistungen der Naturwissenschaftler
Und diese Haltung lehrt: es braucht den Glauben an eine Ordnung in diesem Universum…. Jesaja nennt diese Ordnung Gott. Und für Jesaja war diese Verbindung zwischen Gestirn und Gott ganz selbstverständlich. Die Sterne sind für ihn wie so persönliche Wesen … Gott kümmert sich um sie… er kennt jeden Einzelnen mit Namen… jeder Stern hat seinen ganz genauen Platz in diesem Ordnungsgefüge… kein Chaos… kein Zufall… „Richtet eure Augen nach oben und seht, wer das alles geschaffen hat! Seht ihr dort das Heer der Sterne? Er lässt sie aufmarschieren in voller Zahl. Mit ihrem Namen ruft er sie alle herbei. Aus der Menge, vielfältig und stark, darf kein einziger fehlen.“ – sagt der Prophet.
Für mich ist das der Dreh- und Angelpunkt des Glaubens… genau an dieser Stelle kann ich nicht in meinem Ego, mein neuzeitlich so dominierender Subjektivismus hängen bleiben… nach dem Motto: „Ich halte nur das für sicher, was ich auch wirklich anfassen oder sehen kann.“ Wie ist das bei Ihnen?
Ich versetze mich wieder in diesen Jesaja hinein… nach Babylon… da ging es darum: das Volk Israel sollte wieder zurückkehren… durch die Wüste ins gelobte Land… wie konnten die Leute motiviert werden? … das Gewohnte aufgeben… aufbrechen… ins Bekannt-Unbekannte… ein Land, das Brach lag… ich versetze mich in diesen Jesaja hinein…
Jedem Tag, jedem Monat oder auch einzelnen Regionen des mesopotamischen Reiches hatten die Babylonier eine astrale Gottheit zugeordnet. Das war damals der neuste religiös-wissenschaftliche Trend. Die Astrologie war den Mesopotamiern von größter Bedeutung. Wetter und Geburten wurden vorhergesagt… Als höchste planetare Gottheit wurde damals der Mond betrachtet…
Und nun eine völlig neuartige Botschaft des Jesaja für die Menschen: die Gestirne haben gar keine eigene Macht. Sie gehören alle zu Gott dem Herrn… dem einen Schöpfer.. der alles ordnet und lenkt… wie muss diese Botschaft bei den Leuten angekommen sein? … eine Provokation? … ein Zurück in die alte überholte Tradition oder eine Befreiung von fremder priesterlicher Bevormundung? … Befreiung von fremden Göttern und Mächten? … Freiheit? … das Gewohnte hinter sich zu lassen… Freiheit für einen Neuanfang… Jesaja legt nach… „Wie kannst du da sagen, Jakob, wie kannst du behaupten, Israel: ‚Mein Weg ist dem Herrn verborgen! Mein Gott bemerkt nicht, dass ich Unrecht leide!‘ Hast du’s noch nicht begriffen? Hast du es nicht gehört? Der Herr ist Gott der ganzen Welt. Er hat die Erde geschaffen bis hin zu ihrem äußersten Rand. Er wird nicht müde und nicht matt. Keiner kann seine Gedanken erfassen.“
Hat es dieses Gotteszeugnis die zweifelnden Leute in Babylon motiviert? Hatte es die Kraft aus der Lethargie des halbherzigen Lebens in einem fremden Land freizumachen? Einen gefährlichen Weg in dieses Bekannt-Unbekannte Land anzutreten? Offenbar gab es Leute, denen die alte israelitische Tradition viel bedeutet hat. Sie hatten aber keine Kraft mehr vor dem Hintergrund der übermächtigen Religion um sie herum.
- Obwohl mich der gestirnte Himmel immer wieder an meinen Glauben und Gott erinnert: Ich kenne auch diesen Zweifel am Glauben… wie sehr wünsche ich mir manchmal ganz konkrete sinnliche Zeichen von Gott… wie großartig wäre es, wenn er so einen Stern einfach mal aus der Bahn hebeln würde, weil ich es mir wünschte… wie super wäre es, wenn einfach mal ein richtiger leuchtender Engel mit Flügeln auftauchen würde und mir eine Botschaft aus den Sternen mitbringen würde… wie sehr würde ich mir jemanden wünschen, der auf dieser Welt der Ungerechtigkeiten zwischen Arm und Reich, zwischen Machtmenschen und Ohnmachtsmenschen, zwischen Lauten und Stillen für Ordnung sorgen würde… Gerechtigkeit herstellen würde.. mit einem Fingerschnipp…
- Obwohl mich der gestirnte Himmel immer wieder an meinen Glauben und Gott erinnert: auch mir tut es weh, dass so viele Menschen in Freiberg gar nicht zur Kirche gehören, nicht zu unserer Gemeinde gehören … mit wunderbaren Menschen, mit so einem fantastischen Kirchenraum, mit so abwechslungsreicher Kirchenmusik auf höchstem Niveau. Ich frage mich: wie können wir diese Kirche sanieren? Mit so begrenzten personellen und finanziellen Ressourcen? Und dann lese ich von den neusten Entwicklungen auf der Synode: es wird noch krassere Veränderungen geben müssen, da die Kirche schneller schrumpft als vermutet… Natürlich müssen wir Menschen begeistern und für die Kirche gewinnen… aber woher sollen die Personen und die Zeit kommen, die das leisten kann? Und zwar so, dass diese Kirche, der Freiberger Dom ein nachhaltiger Bezugspunkt für Menschen wird?
- Obwohl mich der gestirnte Himmel immer wieder an meinen Glauben und Gott erinnert: wie bedrücken mich in dieser Zeit die Nachrichten über die wirtschaftliche Lage unseres Landes.. und ich mache mir Sorgen … was wird das für die vielen Menschen sein, die dann um ihre Arbeitsplätze bangen? Wie kann hier wieder eine Dynamik entfacht werden? Schwung in das System gebracht werden? … für die Wirtschaft, die Politik … aber auch für jeden Einzelnen eine echte Herausforderung…
„Wie kannst du da sagen, Jakob, wie kannst du behaupten, Israel: ‚Mein Weg ist dem Herrn verborgen! Mein Gott bemerkt nicht, dass ich Unrecht leide!‘ – so drückt Jesaja diese Verzweiflung der Leute aus… und er bescheinigt: sie sind müde geworden.“
Dem hält Jesaja entgegen: „Aber alle, die auf den Herrn hoffen, bekommen neue Kraft.“
Da ist die Erinnerung an die Sterne… da ist die Erinnerung an die Kraft des Glaubens… für mich klingt da die Erinnerung von Ostern mit: Christus, Licht der Welt!... das klingt wie die Macht der Sterne ... ja wir sind nicht viele ... wir haben begrenzte Kräfte… aber der Glauben an Gott verleiht Kraft… und diese Beispiele gibt es doch auch:
- Jens hatte in der Vorbereitungsrunde ein Beispiel genannt: er steht in der Früh auf… genießt die kühle Luft des Morgens… zündet sich eine Zigarette an oder trinkt einen Schluck Kaffee… und dann ist dazu auch noch der Glaube an diesen Gott den Schöpfer
- Auch das Gedanken aus der Vorbereitungsrunde: es gibt die Gemeinschaften … der Kollegenkreis oder die Gruppen im Kretzschmarstift … die Wohnleitung, die sich um die Arbeit im Hintergrund kümmert … ja eine Gemeinschaft, die Anteil nimmt, an den Sorgen oder Trauer über den Tod eines Mitbewohners… was für ein großartiges Vorbild für unsere Gesellschaft
- Oder bei uns in der Gemeinde: Ich denke an den letztjährigen Adventsmarkt… , die Menschen, die wir begeistern können, mit Glaubenskursen, mit Musik, mit Freizeiten … Ich denke an die vielen Menschen, die unseren Dom wertschätzen … auch wenn sie vielleicht gar nicht zur Gemeinde gehören … Menschen, die für diesen Dom spenden … an die Gemeinde oder über den Förderverein…
Ich glaube, es gibt kein Patentrezept, wie man aus Krisen herauskommt… und schon gar nicht in so komplexen Zusammenhängen wie der Wirtschaft… aber Jesaja bietet jedem Einzelnen, im Kleinen etwas an: „Aber alle, die auf den Herrn hoffen, bekommen neue Kraft.“ Und dann fügt er noch ein großartiges Bild dazu: „Sie fliegen dahin wie Adler.“
Da habe ich das Bild des Adlers vor Augen… er schwebt weit oben in der Luft über den Seen unseres Landes, über den Dächern und Türmen Freibergs, über den Höhen des Erzgebirges oder des Elbsandsteingebirges… und ich stelle mir vor, so ein Adler zu sein… schwebend im Wind … die Sonne … die Wolken … ganz vereint mit Gottes Schöpfung … so wie vorhin im Altarraum … nur die Hände heben und durch den Raum gleiten … ein herrliches Gefühl der Freiheit … diese Sorglosigkeit … dieses Vertrauen … diese Verbindung mit Gottes Schöpfung wünsche ich Ihnen … und dann … die neue Kraft zur inneren Veränderung…
Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
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