Predigt zum 14. Sonntag nach Trinitatis, 1. September 2024

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Predigt zum 14. Sonntag nach Trinitatis, 1. September 2024

01.09.2024

über Römer 8, 14 - 17; gehalten im Freiberger Dom von Dompfarrer Dr. Gunnar Wiegand

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen. Stille…

Liebe Gemeinde,

heute habe ich euch etwas mitgebracht: ein gelbes, leuchtendes Herz. Ein bisschen schief, ausgeschnitten. Auf diesem Herz stehen verschiedene Sachen mit Bleistift drauf: links: Liebe Mama, rechts: lieber Papa. Darunter Ich mag euch. Eure Josephine ♥♥♥. Das ist von meiner Tochter. Sie hat es mir geschenkt. Dieses Herz liegt auf meinem Nachtkästchen, manchmal verwende ich es auch als Bucheinmerker… Ich freue mich immer wenn ich es sehe. Es ist jetzt nicht sehr kunstvoll, aber doch in der Schlichtheit unheimlich klar in der Botschaft…. Und ich muss dazusagen, dass ich von meinen Kindern – insonderheit von meiner Tochter – immer wieder solche Liebesbezeugungen bekomme… als Bilder oder ausgeschnittene Herzen oder Basteleien.

Das ist immer wieder anrührend. Das ist eine ganz besondere Liebe. Die kriege ich nur so von meinen Kindern. Sie rührt mich unheimlich. Lieber Papa! Oder Papa ich habe Dich lieb! (Dass Kinder auch sehr unleidlich sein können, steht außer Frage… aber jetzt geht es um diese unmittelbare herzliche Liebe.)

Paulus muss wohl so eine Liebe gekannt haben – auch wenn die Frage, ob Paulus verheiratet gewesen ist, bzw. sogar Kinder gehabt hat, in der Forschung bis heute kontrovers diskutiert wird. Irgendwie kannte er es wohl: so ein Kind, das kommt und sagt: lieber Papa. Im Römerbrief schreibt er es so: Abba, lieber Vater!

Diese Liebe eines Kindes zu den Eltern, diese unmittelbare Liebesbezeugung war für Paulus ein Vorbild für einen kurzen Gedankengang. Paulus beobachtet: da sind diese Gläubigen. Sie beten aus tiefster Seele zu Gott – so wie meine Tochter ganz unverhofft sagt: mein lieber Papa. Und an diesem Verhalten, an diesem unmittelbaren Gefühlsausdruck kann man etwas erkennen:

- Dieser Mensch ist von Gottes Geist getrieben – also etwa so: Gott liebt mich und so liebe ich auch Gott. So wie ich ja meine Tochter auch liebe, für sie da bin, wenn es ihr schlecht geht, sie beschütze, ihr Essen und Trinken gebe.

- Und so müssen wir uns nicht fürchten – schreibt Paulus. Man könnte es anders herum sagen: so können wir mutig, gefestigt, getragen durch unser Leben gehen.

- Und dann noch ein Drittes: so von Gottes Liebe getragen, sind wir ganz eng mit Jesus Christus verbunden. Alles Leid, das wir fühlen, das wir ertragen, erinnert uns: Christus kommt. Er erlöst uns.

Ich stelle mir vor: dieser Brief ging an die Gemeinde in Rom. Sie kannten Paulus noch nicht. Sie kannten Christus noch nicht…. Völlig neuartige Worte. Und dann so eine wunderbare Botschaft. Das wird die doch neugierig gemacht haben. Was sie sich wohl gedacht haben mögen, über Paulus, über Christus? Wie ist das im Alltag dieser antiken Metropole angekommen?

Wir jedenfalls sind heute hier in Freiberg. Und hier ist heute Wahl. Es wäre an den Haaren herbeigezogen, Paulus Ansinnen auf ein so konkret-politisches Thema zu beziehen. Und dennoch gibt es zwei sehr grundsätzliche Anknüpfungspunkte:

- Lieber Papa – sagt meine Tochter zu mir. Abba, lieber Vater sagen Christen zu Gott. Das ist eine Haltung: Liebe. Und damit ist auch der Bogen ganz einfach zu unserem demokratischen Geschehen geschlagen: wir Christen stehen für eine von Gott getragene Haltung der Liebe. Mit dieser Haltung sollen wir unseren Mitmenschen begegnen. Es gibt wohl keine Partei, welche dieses Ideal erfüllt – dann wären wir schon ganz in Gottes Herrlichkeit angekommen. Wir müssten wohl gar nicht mehr wählen gehen. Aber umgekehrt schließt es konkrete politische Parteien aus: alle Parteien, die in ihrem Agieren (auch in Parteigruppierungen) von Hass, Hetze, Bösartigkeit geprägt sind. Schlägertrupps, pöbelnde Menschen, Musik mit Hassinhalten… Diese Menschen sind nicht vom „Geist Gottes getrieben“. In einer Gesellschaft haben sich Christinnen und Christen dort für Mehrheiten einzusetzen, wo ein breiter Raum für die Entfaltung der Liebe gegeben ist. So viel Mündigkeit traue ich Ihnen allen zu, das selber zu erkunden. Die Demokratie bringt ja ein breites Parteienspektrum mit, in dem Sie sich am besten verorten können.

- Christentum kann nie unpolitisch sein – auch wenn manch einer sich das wünscht. Denn Christinnen und Christen sind aus ihrem Selbstverständnis zum Zeugnis in dieser Welt bestellt – bis Christus in der Herrlichkeit erscheint. Kirche ist keine Wellnesszone, ein Sammelbecken für irgendwelche idealistischen Weltanschauungsfantasien. Kirche ist auch ein Ort des Martyriums, des Zeugnisses Christi, ein Ort gelebter Liebe genauso wie ein Ort der Feier von Wort und Sakrament. „Mein lieber Papa“. „Abba, lieber Vater“. Das ist unser Zeugnis. Es wäre ein leeres Zeugnis, wenn ich meiner Tochter sagte: „ich liebe dich“ und wäre dann für ihre Nöte nicht da.

- Und dann ist da noch ein Drittes. Paulus schreibt: „Denn ihr habt nicht einen Geist der Knechtschaft empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsstet.“ In anderen Worten: euch kann nichts vom Hocker hauen. Ihr könnt mutig auch die Widrigkeiten des Lebens ertragen. Christus hat noch viel mehr durchmachen müssen. Konkret könnte das für mich bedeuten: egal mit welchem Chaos- und Bösartigkeitspotential diese Wahl ausgehen wird, egal wie weit eine künftige Politik von Bösartigkeit, Hetze, Ausgrenzung, Kulturferne, von der Liebe entfernt sein wird: ihr habt Gottes Geist! Christus ist für euch gestorben! Und Christus wird für euch wiederkommen!

„Abba, lieber Vater“ – sagt Paulus. „Liebe Mama, lieber Papa, ich mag euch“ – schreibt mir Josephine. Das will ich Ihnen an diesem Wahlsonntag und natürlich darüber hinaus mit auf den Weg geben. Bleiben Sie am Herz dran. Lassen Sie sich von Gott mit Liebe beschenken. Und seien Sie selbst Liebende für die Menschen um Sie! Gehen Sie wählen mit Herz für Nächstenliebe und Zusammenhalt!

Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne, in Christus Jesus. Amen.

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