Predigt zum 16. Sonntag nach Trinitatis, 15. September 2024

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Predigt zum 16. Sonntag nach Trinitatis, 15. September 2024

15.09.2024

über Psalm 16,5-11; gehalten im Freiberger Dom von Dompfarrer Dr. Gunnar Wiegand

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus, Amen. Stille…

Lesung Psalm 16, 5 - 11 (BB)

Liebe Gemeinde,

kennen Sie das: Sie liegen nachts im Bett, Sie sind müde, Sie wollen schlafen… da ist die Dunkelheit, Gedanken, dunkle Gedanken, Gedanken kreisen, Sorgen, Ängste… über das Dunkel der Nacht, aber auch Sorgen die der Tag gebracht hat… nun sind sie ganz da. Sie wollen schlafen, der Schlaf kommt einfach nicht. Ein Gedanke, ein Gefühl jagt das Nächste. Kennen Sie das? Welche sind ihre Sorgen?

Ich stelle mir vor: da liegt einer auf seinem Nachtlager. In einem Dorf in Juda. Er liegt, will schlafen. Seine Gedanken kreisen. Da ist Todesangst. Er ringt mit sich. Warum ist da Angst, Dunkel? Ziemt sich das? Da ist doch Gott. Darf man da Angst haben? Wenn Gott doch da ist. Ja, Todesnot, Gottesferne, aber doch eigentlich Gott an der Seite. Er legt sich von der einen Seite auf die andere. Das Nachlager drückt am Kopf, er versucht es auf dem Rücken liegend mit dem Schlaf… es geht nicht, Stunde um Stunde. Die Dämmerung bricht langsam in dunkelblauer Farbe durch die Ritzen der Fenster, die Ritzen der Tür. Die ersten Sonnenstrahlen. Von Schlaf kann keine Rede mehr sein. Er steht auf und schreibt einzelne Gedanken, einzelne Fetzen seiner nächtlichen Sorgen, seines nächtlichen Trostes:

„In den Nächten denke ich nach.“ Ich habe Todesangst – eigentlich. Denn ich war Ausgestoßen, ohne Dach über dem Kopf, ohne Eigentum – so lesen wir. Die Leute haben mich wie Dreck behandelt. Ich war ganz unten. Ich konnte meine Rechnungen nicht bezahlen. An einen Arzt war nicht zu denken. Kein Geld für Medizin. Das hat mich dem Tod nah gebracht. „10Du, Gott, gibst mich nicht dem Totenreich preis. Du lässt mich das Grab noch nicht sehen.“ Denn: ich habe endlich ein Stückchen Land geerbt. „6Mein Los fiel auf ein schönes Land. Ja, ein solches Erbteil gefällt mir gut.“ Das sichert meine Existenz. Jetzt kann ich mir endlich wieder etwas leisten. Dankbarkeit. Ja mit Gott dem HERRN muss es beginnen: „8Der Herr steht mir immer vor Augen. Mit ihm an meiner Seite falle ich nicht.“ Trotz der Angst ist da wer. Und das schreibe ich mir von der Seele. Ja, ich tilge meine Todesängste über meinen Lobpreis, mein Gebet zu Gott. Das lässt mich meine Sorgen vergessen. Und das heißt:

- „Ich preise den Herrn, der mich beraten hat.“

- „Darum ist mein Herz so fröhlich“

- „meine Seele jubelt vor Freude.“

- Leib und Seele sind gerettet.

Ich rede mir ein: sei fröhlich. Das lässt meine Sorgen vergessen. Das lässt mich vergessen, wie ich unten war, ja fast wie tot.Du, Herr, zeigst mir den Weg zum Leben. Große Freude finde ich in deiner Gegenwart und Glück an deiner Seite für immer.“

Zurück zu mir persönlich. Da lese ich den Psalm. Er wirkt auf mich wie ein Puzzle aus Gedankenfetzen. Sie sind zu einer Poesie zusammengefügt. Da lese ich von Schlaflosigkeit, Todesangst, aber auch von Erbschaft – fast ein triviales Thema. Dann jedoch auch viele Worte von Gott dem Herrn…. Sind die Sorgen nicht ein wenig zu stark mit Dankes- Lobes- und Hoffnungsworten übertüncht? Oder ist es echte Dankbarkeit, echtes Lob, echte Hoffnung?...

Wenn ich ganz ehrlich bin: so wie der Beter des Psalms bringe ich Todesangst und Erbschaft in meiner Biographie nicht so recht zusammen... Aber ich kenne die langen Nächte voller Ängste oder Gedanken. Wenn ich mich als Kind im Dunklen gefürchtet habe, dann habe ich mich an meine Stofftiere gekuschelt, meinen Hund Samy oder meinen Bär Wastel. Oder – wenn es ganz arg war… bin ich aufgestanden. Ich erinnere mich, wie ich den Gang von meine Kinderzimmer bis zur Holztreppe gelaufen bin – von unten das warme, entfernte Licht des Wohnzimmers. Meine Eltern waren da. Dann langsam, Stufe für Stufe die Treppe hinunter. Die Tür ganz leise geöffnet – denn ich sollte ja eigentlich schlafen. Da war ein klein wenig Furcht vor meinen Eltern. Würden sie mich ermahnen, dass ich immer noch nicht schlafe? Und dann der Weg ins Wohnzimmer: Sie waren da, sie nahmen mich in Empfang, sie trösteten mich… und brachten mich dann irgendwann noch einmal ins Bett. Ich konnte schlafen…. Da ist jemand da, der Herr ist da – schreibt der Beter des Psalms. „Du zeigst mir den Weg zum Leben. Große Freude finde ich in deiner Gegenwart und Glück an deiner Seite für immer“ – so wie ich wusste: meine Eltern sind immer da, wenn ich sie brauche… Angst in der Nacht habe ich heute nicht mehr, aber dafür durchaus immer mal wieder Sorgen, die mich wach halten. Aber dieses Grundvertrauen – da ist jemand da, Gott ist da, wenn Du ihn brauchst – hat mich dann auch später immer wieder durch die Krisen meines Lebens getragen. Und dieses Gottvertrauen trägt mich bis heute... ich kann diesen Beter des Psalms gut verstehen.

Was hat Ihnen geholfen in den Angstmomenten der Nacht? Was gibt Ihnen auch heute Halt in schlaflosen Nächten, wenn Sorgen sie nicht einschlafen lassen? Haben Sie Halt in schlaflosen Nächten?

Mich hat dieser Psalm über diese letzte Frage sehr nachdenklich gestimmt: was ist, wenn dieser Halt durch Gott gar nicht da ist? Erst kürzlich habe ich lange mit einem Mann gesprochen. Man könnte bei ihm sagen: er empfindet Angst und ja, Todesnot. Er hat keine rechte Bleibe, keinen Besitz, kein Erbe. Er hat diesen Halt aus seinen Kindertagen nie so richtig erfahren können. Er hatte offenbar auch dieses Grundvertrauen nicht mitbekommen. Viel Frust und Ohnmacht gegenüber unserem behördlich oft so unmenschlich organisierten Staat: keine Möglichkeit zur Arbeit, keine Möglichkeit zur Veränderung, wie die Hölle seine Existenz, eingesperrt in einem Raum. Abgekappt von Menschen seines Vertrauens. Trauer… 

Ich hatte großes Mitleid, Trauer über seine ausweglose Situation… Ohnmacht, wie konnte ich helfen? Ich konnte nicht helfen. Das Einzige: ich konnte ihm zuhören, seine bewegte Lebensgeschichte anhören, irgendwann merkte ich, dass er seit schon früh nach Italien gekommen war.

Zwischen den Zeilen hörte ich, wie der Mann von Italien sprach. Ich wechselte auf italienisch. Da war auf einmal ein großes Verstehen und Vertrauen. Er freute sich so, dass er in der Sprache seiner Kindheit reden konnte – ganz frei ohne Sprachmühen. Da fasste er großes Vertrauen. Er erzählte mir von dem Schwesternheim bei Vicenza, wo er elternlos aufgewachsen ist… Da haben wir haben viel miteinander geredet, gelacht. Natürlich konnte ich seine Situation nicht verändern. Ich weiß nicht, ob er von Gott erfährt: „Du zeigst mir den Weg zum Leben. Große Freude finde ich in deiner Gegenwart und Glück an deiner Seite für immer.“ Aber vielleicht für einen Moment. Er ist guter Dinge seines Wegs gezogen.

Ich stelle mir vor: Maria und Marta in großer Sorge um ihren Bruder Lazarus – er war krank. Da erinnerten Sie sich an Jesus. Auf ihn setzten sie die Hoffnung, er könnte Lazarus heilen. Doch Jesus kam nicht, er ließ der Krankheit seinen Lauf. Lazarus starb. Was müssen die Schwestern von Jesus gehalten haben? Waren sie sauer auf ihn? Enttäuscht, dass er sie hat sitzen lassen? Ich stelle mir vor: Maria liest Marta diesen Psalm vor:

„Der Herr steht mir immer vor Augen. Mit ihm an meiner Seite falle ich nicht. Darum ist mein Herz so fröhlich und meine Seele jubelt vor Freude. Auch für meinen Leib ist gesorgt. Denn du gibst mich nicht dem Totenreich preis. Du lässt mich das Grab noch nicht sehen. Ich gehöre doch zu denen, die dir dienen. Du zeigst mir den Weg zum Leben. Große Freude finde ich in deiner Gegenwart und Glück an deiner Seite für immer.“

Trotz des Todes, trotz der Trauer, der Wut: Da ist einer. Er fand Trost in diesem nächtlichen Gebet. Trotz der Todesangst hat ihn sein Vertrauen in Gott mit Leib und Seele wieder fröhlich gemacht. Dadurch hatte er keine Angst mehr vor dem Tod.

Sie vertrauten Jesus. Und Jesus zeigte ihnen durch Lazarus genau diesen Beistand Gottes: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben.“

Eine schlaflose Nacht… da ist die Dunkelheit, Gedanken, dunkle Gedanken, Gedanken kreisen, Sorgen, Ängste… über das Dunkel der Nacht, aber auch Sorgen die der Tag gebracht hat… nun sind sie ganz da. Sie wollen schlafen, der Schlaf kommt einfach nicht. Ein Gedanke, ein Gefühl jagt das Nächste.

Aber da ist auch Gott an der Seite (auch wenn Sie ihn vielleicht gar nicht bemerken), Gott der den Weg zum Leben öffnet – mit Leib und Seele, im Leben und im Tod. Davon zeugt dieser Psalm.

Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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