Predigt zum 3. Sonntag in der Passionszeit (Oculi), 23. März 2025

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Predigt zum 3. Sonntag in der Passionszeit (Oculi), 23. März 2025

23.03.2025

über Jeremia 20,7-11a (Lut17); gehalten in der Annenkapelle des Doms zu Freiberg von Dompfarrer Dr. Gunnar Wiegand

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen. Stille…

Lesung des Predigttextes Jeremia 20,7-11a (Lut17)

Liebe Gemeinde,

„Meine Augen sehen stets auf den Herrn…“ – Bekenntnis, sehende Anrufung, Vorbild in einem… Mutmachend, aber auch ein wenig Nachdruck verleihend so empfinde ich diesen Satz. An Gott dranbleiben. Oculi mei semper ad Dominum – das Gleiche in Latein. Name und Thema des heutigen Gottesdienstes Oculi.

An Gott ist auch Jeremia dran – wir haben es gerade gehört. Er ist an Gott dran mit Leib und Seele. Er stülpt sein Innerstes, seine ganze Seele nach außen. Er nimmt mich dadurch ganz gefangen mit seiner Klage, seinem Bekenntnis zu Gott. Seine Worte, seine Gefühle nehmen mich ein. Diesem Menschen kann ich mich nicht entziehen. Sofort knüpfe ich in Gedanken an: ja das kenne ich auch… klein gemacht von der Überheblichkeit eines anderen. Das muss gar nicht viel sein… eine kleine Bemerkung… eine Geste… ein Ignorieren… Und leider habe ich auch immer wieder die andere Seite wahrgenommen: eine ganze Gruppe hat sich auf einen Menschen eingeschossen… - so wie hier bei Jeremia. Oft ist da ein Rädelsführer, der starke Mann, die anderen machen mit. Alle gegen einen… und ich? Beobachte die Szene mit Abscheu. Manchmal gelingt ein Ausgleich… meistens habe ich Mitleid mit dem Opfer. Oft aber stehe ich auch nur ohnmächtig da, kann oder will nicht eingreifen. Schuld?

Den Worten dieser Klage konnten wir uns auch nicht im Bibelkreis entziehen… wir hatten diesen Jeremia als Lektüre. Und da kamen noch so viele Gedanken auf.  Besonders bewegt haben mich die ganz persönlichen Erfahrungen: Der Bruch in einer Familie, die damit verbundene Ohnmacht, Wut und Trauer. „Aber es ward in meinem Herzen wie ein brennendes Feuer, verschlossen in meinen Gebeinen. Ich mühte mich, es zu ertragen, aber konnte es nicht.“ – schreibt Jeremia. Oder die eigene Lebenssituation. Der Körper ist nicht mehr jung, fit und beweglich. Das Gehör lässt nach, die Sehkraft, die Gelenke… immer ein wenig Angst vor der nächsten Beschwernis mit all den nervigen Arztbesuchen und allem drum herum.

Erst im Männerstammtisch in dieser Woche ist uns so richtig deutlich geworden, wie sehr die momentane politische Situation das eigene Leben belastet. Familien und Freundschaften, die über ihre jeweilige politische Haltung zerbrochen sind – so wie dieser Jeremia. Und dann dieses Dilemma… sobald man etwas sagt, ist man sofort in eine Schublade gesteckt. Die eigene Verfahrenheit… keine Möglichkeit, aus der eigenen Blase, dem eigenen Stolz herauszukommen. Auch ich als Pfarrer, der ich ja hier offen predige, stecke in dieser Ausweglosigkeit... und muss mit den Folgen leben… manchmal Diskussionen, Anfeindungen, Frust. Am meisten schmerzt mich, dass es im öffentlichen Diskurs mit differenzierten, abgewogenen Argumenten so schwer ist. Mich nervt oft Schwarz-Weiß-Malerei.

Ja, ich habe Sehnsucht nach den Zeiten, in denen Debatten nicht so aufgeladen waren, wo man den anderen – trotz seiner unterschiedlichen Auffassung – akzeptieren konnte und ein gemeinsames Feierabendbier trinken konnte. Aber wie soll das gehen? Ist ein Zusammenkommen möglich? Brücken bräuchte es, ein aufeinander zugehen… einfach ist das aber alles nicht.

Ich habe einen zweiten Gedanken: ja, ich fühle mich diesen Emotionen Jeremias völlig ausgeliefert und kann unmittelbar daran anknüpfen. Dann aber beschleicht mich der Eindruck: irgendwie tischt er doch hier auch ganz schön auf. Mir ist das etwas zu dick aufgetragen. Klar kenne ich diese Gefühle, aber muss ich die so deutlich nach außen kehren? Irgendwie will ich rufen „reiß Dich ein wenig zusammen“… oder „tue ich ihm da unrecht“? Ich denke, es führt mich dahin, wie ich mit meinem Schmerz oder Elend umgehe… ja oft ertrage ich Vieles, wie auch Sie vermutlich Vieles ertragen. Ja, da kommt die Erziehung durch: „Über Gefühle redet man nicht.“ Oder „Ach komm, ist doch alles nicht so schlimm“, „Sei doch keine Memme.“ Wir sind dazu trainiert, auf Distanz zu gehen… zu den Gefühlen des Anderen, aber auch zu den Eigenen. Und vermutlich braucht es auch das, um die Welt um mir herum zu ertragen…

Ich habe von den Dingen noch gar nicht geredet, die nach meiner Meinung oder auch der Meinung einiger im Bibelkreis falsch laufen in unserer Welt: Die Attentate der letzten Monate, die Aufrüstung, das martialische Gehabe von machtgeilen Politikern, denen es am Ende doch unausgesprochen – um den eigenen Geldbeutel, die eigene Sippe geht oder dem Ego. Und am Ende um die Zerstörung sozialstaatlicher Prinzipien, die gerade unser Land über viele Jahrzehnte so wertvoll gemacht haben. Die Machtmenschen sind – ob sie wollen oder nicht – Vorbilder für viele Menschen. Und dadurch vergiften sie unsere Welt, den gesellschaftlichen Zusammenhalt und den Frieden. Mir tönen noch jetzt die naiven Worte eines Schülers zum Reichtum der Superreichen in unserem Land und in dieser Welt: „aber die Reichen haben es sich doch verdient.“ Was für eine unsinnige Illusion… und der Traum dahinter, irgendwann selber einmal so viel Geld zu haben…

Jeremia klagt aber auch sehr konkret… es geht ja eigentlich nicht nur um die Welt an der er zu zerbrechen droht. Der Text wurde wahrscheinlich zur Perserzeit oder im Hellenismus geschrieben. Das war eine Zeit der Toleranz und Offenheit. Die Juden durften ihre Religion wieder frei zuhause ausleben… aber die Kehrseite war eben auch der Einfluss anderer Religionen, anderer Götter. Sie zerstreuten oder lenkten den Blick weg von Gott dem Herrn, dem Gott des Volkes Israel. Jeremia beobachtet: die Leute wollen nicht auf Gottes Wort hören, sie wollen ihn nicht hören, seinen Propheten. Ja, sie verspotten ihn, machen sich über seine Botschaft lustig. Gottes Wort scheint nicht nur aus der Mode gekommen zu sein… es stößt die Menschen ab. Anderes ist attraktiver, andere Götter, die viel unmittelbarer an die Lebenswelt der Menschen anknüpfen, viel sinnlicher: die Lebenslust, das Vergnügen, die eigenen Belange, das Private. Oder war es die Philosophie, das reine Denken und die Begründung der Welt aus der Natur selbst?

Auch in dieser Hinsicht spricht mich diese Klage so direkt an. Auch heute nehme ich so eine große Distanz der Menschen zur Botschaft der Kirche wahr… eine völlige Verkehrung der Verhältnisse. Das, was eigentlich gut und richtig sein sollte, wird in sein Gegenteil verkehrt… zu Unrecht als Ideologie gebrandmarkt, oft mit Klischees und eigenen Wunschvorstellungen abgetan. Oder was eigentlich noch viel tragischer ist: Gott interessiert überhaupt nicht mehr… lapidar in einem Satz ausgesprochen „Die Bibel ist so langweilig. Die Kirche ist so langweilig“… Ja, das trifft mich wirklich… und das trifft es in Teilen vermutlich auch wirklich. Und ich denke mir dann: „Ja diese Botschaft des Jeremia, oder das Leiden, der Tod von Jesus… was für andere Kategorie als diejenige der Belustigung, der Spannung, Unterhaltung oder des oberflächlich pädagogisch Wertvollen.“

Jeremia spricht so aus dem Herzen. Und er spricht mir so aus dem Herzen… etwas dick aufgetragen…  zugegebener Maßen. Er ist ein Opfer. Das ist eine Situation, die nicht gerade zum Vorbild dient. Die ist nicht schön, ja abstoßend, abstoßend in ihrer Direktheit… aber wie ist es denn mit dem Kreuz… und Jesus? Doch auch nicht wirklich einladend oder schön. Ein echter „Mist“ – wie es ein Jugendlicher bei der Vorbereitung des Abendgottesdienstes für den nächsten Samstag ausgedrückt hat. Und da kommen wir auch nicht so einfach heraus. Das ist wohl Teil unserer erbärmlichen christlichen Existenz. Aber genau das ist es eben. Denn hier ist Platz für die Schwachheit. Diese Botschaft ist langweilig, scheußlich… aber so abgrundtief ehrlich. Hier wird nicht überdeckelt oder schöngeredet….

Und am Ende ist da aber eben doch das Gute, der Sieg und Gott auf der Seite dieses Jeremia:

- 11Aber der Herr ist bei mir wie ein starker Held, darum werden meine Verfolger fallen und nicht gewinnen. Sie müssen ganz zuschanden werden, weil es ihnen nicht gelingt. – so schreibt er. Was für eine geile Botschaft!

- Und dann ist da ja noch etwas: mit dieser Botschaft ist Jeremia nicht allein. Da gab es ja einst auch noch die anderen Propheten wie Elia und mit ihm die 7000 in Israel, die sich einst nicht gebeugt vor Baal… Jesaja, Amos, Hiob, Jona… oder Jesus Christus selber. In anderen Worten die alle haben wir und wir haben uns hier in dieser Gemeinschaft… diese so unterschiedlichen Köpfe und Charaktere, manchmal ein bisschen verquast… aber wir sind an Gott dran in Wort und Sakrament und können sprechen:

„Meine Augen sehen stets auf den Herrn…“ – Bekenntnis, sehende Anrufung, Vorbild in einem… An Gott dranbleiben. Oculi mei semper ad Dominum.

Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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