26.01.2025
über Johannes 4,5-14 (Lut17); gehalten in der Annenkapelle des Doms zu Freiberg von Dompfarrer Dr. Gunnar Wiegand
Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen. Stille…
Verlesung des Predigttextes Johannes 4,5-14
Liebe Gemeinde,
eine eigenartig-faszinierende Geschichte, wie ich finde. Für mich gibt es wenige Erzählungen in der Bibel, in die ich mich so gut hineinversetzen kann. Ich spüre förmlich die Mittagshitze in dieser Samaritanischen Stadt Sychar… der Marktplatz flimmert von der sengenden Sonne… es ist still, die Leute zuhause in den schattigen Häusern zurückgezogen. Jesus allein, er hat Durst von der Wanderung und lässt sich am Brunnen nieder… Da kommt eine einheimische Frau daher und will Wasser holen. Trifft auf Jesus… und hier nun die Besonderheit. Die Begegnung zwischen einem fremden jungen Mann und einer Frau… was schwingt da nicht alles unausgesprochen mit. Was mag die Frau gedacht haben? War da Angst vor dem Fremden? Alleine mit diesem Mann? War sie neugierig? … ja vielleicht erotisches Knistern ob dieses jungen exotischen Manns? War da Angst, vor den Augen der durch die Fenster und Türen spähenden Einheimischen, in schlechten Ruf zu geraten… nach dem Motto: „aha, die geht dort einfach so hin… ein Fremder… was sagt ihr Mann (wir erfahren an einer späteren Stelle, dass sie verheiratet ist)… oder ist sie ganz pragmatisch, interessiert sich im Grunde genommen gar nicht für den Fremden, deren ja viele in der Stadt Ein- und Ausgehen? Sie will einfach nur Wasser holen und ignoriert alles Andere, ist vielleicht gestresst, weil sie zuhause kochen will…
Und dann Jesus… was für ein Chauvinist hier: „gib mir zu trinken!“… hätte er nicht selber einen Eimer in die Hand nehmen können (er hat offenbar aber nichts zum schöpfen dabei)… aber warum in diesem Ton, in diesem Befehl? Dieser Jesus ist so anders als ich ihn aus anderen Geschichten kenne… kein Gruß, kein Friede sei mit Dir!... immerhin: die Frau hat es als bittende Aufforderung verstanden. Sie war offenbar verbales Nehmen gewohnt.
Und dann geht es erst einmal gar nicht ums Trinken… das Offensichtliche… sondern um nationale, ja religiöse Identität. Die Frau packt Jesus erst einmal in die Judäa-Schublade… sie ist überrascht, dass Jesus mit ihr redet… offenbar hat sie auch die Erfahrung gemacht, dass sie von Juden abgewiesen wurde… oder sie selber war von Vorurteilen geprägt.
Und dann diese eigenartige Veränderung des Dialogs von der Alltagsszene hin zu einer Botschaft: Jesus interessiert gar nicht mehr, dass sein eigener Durst gelöscht wird. Er dreht den Spieß um und konfrontiert die Frau mit dem Bild des lebendigen Wassers. Hier geht es Jesus gar nicht mehr um sein eigenes Bedürfnis… eigentlich bedarf die Frau des Lebendigen Wassers…
Und dann sind da ja auch noch die Perspektive der informierten Leser: das alles spielt sich ja vor der Folie des für Jesus und die Frau historischen Geschehens um Jakob aus dem ersten Buch Mose… die Gegend um Sychar ist von zentraler religiöser Bedeutung – so die Botschaft. Das ist das Land, das Gott Jakob und Joseph anvertraut hatte. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die Szene selbst: der Tora-Kenner erinnert sich sofort an die Brautwerbegeschichte bei Jakob. Dieser trifft seine künftige Frau Rahel am Mittag an einem Brunnen (Gen 29,1–14). Über das knisternde Gefühl des Erotischen steht sogar noch das Thema Hochzeit im Raum. Was sucht Jesus hier am Marktplatz von Sychar, der zuvor sogar als ‚Bräutigam‘ bezeichnet wurde (Joh 3,29)? Im heutigen Predigttext bleibt dieser Handlungsstrang offen…
Ich versuche mir eine solche Begegnung heute vorzustellen. Wie könnte sie verlaufen? Wie würde die Erstbegegnung zur Mittagszeit eines jungen Ausländers mit einer Freibergerin auf dem Obermarkt aussehen? Würde er sie ansprechen? Was wäre, wenn er sie so chauvinistisch anreden würde, wie Jesus es bei dieser Frau in Sychar tat? Würde sie ihm den Kauf eines Getränks bei dm oder in einem Geschäft anbieten? Würde Sie ihn sitzen lassen und davongehen? Würde Sie ihn anraunzen und ihm seine fehlende Gendersenisibilität vorwerfen? Wäre das überhaupt Thema?
Und was ginge im Kopf der Frau vor? Angst vor dem Fremden? … erst diese Woche wieder ein Messeranschlag in Aschaffenburg. Oder Freude über die interkulturelle Begegnung? Erotisches Knistern? Oder einfach nur Ignorieren?
Würde Religion bei diesen Leuten eine Rolle spielen? Oder bräuchte es da einen biblischen Ort, wie die Wiese des Jakob?
Wie würden Außenstehende ein solches Treffen wahrnehmen… schulterzuckend oder mit Gerede?... ich erlebe Freiberg als eine sehr Weltoffene Stadt… der OB hatte mir einmal in einem Gespräch eröffnet, dass Freiberg in Sachsen den prozentual höchsten Ausländeranteil habe. Menschen aus zig verschiedenen Nationen. Das liegt vor allem an der TU-Bergakademie, die Studierende aus der ganzen Welt anzieht… und ich finde das eine beeindruckende Vielfalt.
Lässt man den Einstieg der Alltagszene einmal außen vor, so landet man bei dieser Geschichte doch recht schnell bei der Frage nach dem Verhältnis von Juden und Samaritern… im letzten Pfarrkonvent hatten wir – ausgehend vom Nicänischen Glaubensbekenntnis – das Thema der lutherischen Bekenntnisse als Grundlage unserer Landeskirche. Und irgendwann haben wir festgestellt, dass eine ganze Reihe an Pfarrern erst im Nachgang in die sächsische Landeskirche gekommen sind... wir wurden im Landeskirchenamt auf unsere Rechtgläubigkeit hin geprüft. Ich sagte dann so: „Also manchmal komme ich mir als Bayer in Sachsen so vor wie ein Samariter in Judäa“… wir mussten lachen. Die Judäer hielten sich für die „besseren“ Juden… schließlich war bei ihnen der Tempel in Jerusalem, der Zionsberg. Samarien im Norden hatte ein eigenes Heiligtum – illegitim in der Auffassung der Judäer. Und in Samarien waren Heidnische Religionen weiter verbreitet im Volksglauben als in Judäa…. Diese Differenzen greifen die Frau und Jesus auf dem Dorfplatz am Brunnen auf. „9Da spricht die samaritische Frau zu ihm: Wie, du, ein Jude, erbittest etwas zu trinken von mir, einer samaritischen Frau? Denn die Juden haben keine Gemeinschaft mit den Samaritern…“ In anderen Worten: wer ist religiöser? Die Judäer oder die Samariter? Wer ist religiöser: die Bayern oder die Sachsen? Kann es zwischen solchen Kirchen eine Glaubensgemeinschaft geben… wo es in Sachsen doch noch zu den gemeinsamen Bekenntnissen auch die Konkordienformel gibt?...
Sie merken… es wird kompliziert und vielleicht auch absurd… und Jesus hat das sofort im Blick… er lenkt die Gedanken der Frau über das Wasser hin zu seiner Metapher des Lebendigen Wassers… und damit sagt er: um diese Unterschiede geht es doch gar nicht. Denn: „14wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt.“
Und damit sind wir in dieses Bild, in diese Metapher geworfen. Das lebendige Wasser von Jesus.
- [Wasserflasche] Mir kommt bei dieser Geschichte immer mein Mineral-Wasser in den Sinn, oder eine rauschende Quelle bei einem Spaziergang in den Alpen… dieses frische, spritzige Wasser… im Gegensatz zu abgestandenem Wasser. Wenn ich das trinke fühle ich mich gut, es belebt mein Inneres, die Verdauung, stillt den Durst… es gibt eine kleine Pause im Alltag oder auf der Wanderung… Ich verstehe das so: Jesus spricht hier von seiner eigenen Botschaft. Sie ist dieses lebendige Wasser: der Glaube, das Evangelium und die Liebe! Das gilt es zu trinken, das gilt es zu entdecken…
- Dann muss ich aber auch immer an die Taufe denken. Ich vermute, die meisten von Ihnen haben keine Erinnerung mehr an die eigene Taufe… und in der Regel tauchen wir unsere Täuflinge auch nicht mehr in das fließende Wasser – so wie ja Jesus im Jordan getauft worden war. Und doch ist da diese symbolische Reinigung in unserer persönlichen Vergangenheit. Wir tragen sie unser ganzes Leben lang mit uns. Durch die Taufe sind wir vollständiger Teil dieser Gemeinde, ja der Kirche. Und dadurch werden wir – egal wo wir sind – immer wieder zusammengerufen… wir können teilhaben an den Gottesdiensten, den Gemeinden in der ganzen Welt… wie großartig, dass ich immer wieder an den verschiedensten Orten in meinem Leben ev.-luth. Glaubensgeschwister und Gemeinden gefunden habe… in meiner Heimat, in Windsbach, am Golf von Neapel und Rom, an meinen Studien- und Arbeitsorten, zuletzt in Pirna und jetzt hier. Sie merken das Bild des lebendigen Wassers wird auf einmal ein Bild für das eigene Leben… wie ein Bach das Wasser vor sich hertreibt, so ist auch unser Leben unter der Taufe… wir können selbst anderen Menschen zur Erfrischung werden… aus dem Glauben, aus dem Evangelium, aus der Liebe!... Was freue ich mich, dass uns heute unser ehemaliger Hauskreis aus Pirna besucht und hierhergekommen ist.
- Und ein Drittes: Der Jesuit Alfred Delp hat zwei Monate vor seiner Hinrichtung durch die Nationalsozialisten am 2. Februar 1945 aufgeschrieben: „In uns selbst strömen die Quellen des Heiles und der Heilung. Gott ist als ein Brunnen in uns, zu dem wir zu Gast und Einkehr geladen sind. Diese inneren Quellen müssen wir finden und immer wieder strömen lassen in das Land unseres Lebens. Dann wird keine Wüste…“ (sein). Dieses Bild der Quelle hat ihm Kraft geschenkt, Zeugnis seines Glaubens bis ans Ende zu geben. Und damit ist er Vorbild des Glaubens für andere… Welche könnte Ihre Vorbildwirkung im Glauben für andere sein? Wo könnten Sie sich ein Engagement in der Kirche vorstellen? Oder wo sind Sie schon aktiv?... ich wünsche mir eine solche Gemeinde… voll liebe, voll Freude an ihrer Gemeinschaft, an gemeinsamen Aktionen, wie zum Adventsmarkt, in den Chören, zur Familienfreizeit…
Eine eigenartig-faszinierende Geschichte, wie ich finde. Für mich gibt es wenige Geschichten in der Bibel, in die ich mich so gut hineinversetzen kann. Und gleichzeitig aber nimmt sie so eine harsche Wendung hin zum Prinzipiellen: was ist Identität des Glaubens? Sie führt mitten ins Bild des Lebendigen Wasser… spritzig, deutungsoffen, ermutigend, heilsam, fröhlich, einladend… ja zu Jesus Christus selbst!
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
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