09.02.2025
über Markus 4,35-41 (Lut17); gehalten in der Annenkapelle des Doms zu Freiberg im Rahmen eines Kantaten-Gottesdienstes von Dompfarrer Dr. Gunnar Wiegand
Lesung des Predigttextes Markus 4,35-41 als Evangelium
Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen. Stille…
Liebe Gemeinde,
wie es ist, wenn ein Boot auf offener See kentert, weiß ich nicht… welche Gefühle, welche Ängste und Hoffnungen die betroffenen Seeleute haben, kann ich nur erahnen. Ich habe es nicht erlebt. Und wenn ich so nachdenke: Ich habe auch noch nichts Ähnliches erlebt… ich bin kein Segler, Abenteuer oder Ozeanüberquerer wie ein alter Schulfreund von mir – er hat einmal in einem kleinen Schiff den Atlantik überquert… Medial hört man immer wieder von manövrierunfähigen Schiffen… oft dann aber mit gutem Ausgang, sie werden in einen Hafen geschleppt.
Im heutigen Evangelium werden wir Zuhörer und Zuhörerinnen förmlich in so eine Geschichte eines Bootsunglücks hineingeschmissen. Die Geschichte spielt am See Genezareth, einem Binnengewässer im Norden Israels… etwas größer als der Chiemsee. aber immer hin: es gibt dort – bis heute – Wirbelstürme auf diesem See. Das passierte nach Markus auch zur Zeit von Jesus. Er wollte mit seinen Jüngern diesen See überqueren. Und mitten bei der Überfahrt gerieten sie in so einen Sturmwind hinein. Selbst die erfahrenen Fischer unter den Jüngern hatten Angst und Panik. Im Gegensatz zu ihnen schlief Jesus auf einem Kissen am Heck. Sie wunderten sich über ihren gelassenen Meister. Sie weckten ihn. Er stand auf, gebot dem Meer, inne zu halten. Der Sturm legte sich und sie kamen sicher auf die andere Uferseite.
Eine klare Geschichte, eine eindeutige Geschichte. Die Geschichte eines Wunders. Die Geschichte eines Naturwunders. Jesus bewirkt einen plötzlichen Wetterumschwung. Jesus wie ein Superheld aus einem Martial-Arts-Film oder ein Jedi aus Starwars oder ein Zauberer aus Harry Potter. Er steht da und beendet diesen Sturm. Ganz einfach. Und am Ende die Frage: was war das? Wer ist der?...wie es die Jünger sagen… Markus wusste, wie er seine Leser noch recht am Anfang seines Evangeliums beeindruckt. Er wusste, wie man einen Helden inszeniert. Aber ist diese Variante glaubwürdig in einer so durchrationalisierten Zeit wie der unseren? War nicht auch Jesus in seiner menschlichen Natur den Naturgesetzen genauso ausgeliefert wie die Jünger, wie jeder von uns? Die Geschichte eines Wunders. Jesus der Superheld – auf den ersten Blick.
Und dann gibt es da noch den zweiten Blick verbunden mit der Frage: Was bedeutet diese Geschichte für mein Leben? Findet sich eine Deutung im übertragenen Sinn, übertragen auf das eigene Leben?...
Ein Sturm… Sturm des Lebens… was ist das? Welche Lebensstürme erleben Sie? Welche Lebensstürme hätten Sie fast zum Kentern gebracht… ich glaube da gibt es verschiedene Antworten:
- Das kann der Tod eines Menschen sein… Liebe, Leere, Trauer, Andenken.
- Das kann das Ende einer langjährigen Beziehung sein… auch Trauer, Selbstzweifel, Schuldvorwürfe… gibt es Schuld? Wer hat sie?
- In der Kantate von Johann Sebastian Bach mit einem Text von Picander beklagt ein Kranker sein tiefes Leiden. Er hat Todesangst: „Ich steh mit einem Fuß im Grabe, Bald fällt der kranke Leib hinein…“ und später „Mein Angst und Not,
Mein Leben und mein Tod“
- Das können aber auch einfach die ganz kleinen Probleme sein: auf der Arbeit türmen sich die Aufgaben und Aktenstapel. In der Schule folgt Klassenarbeit auf Klassenarbeit. Es geht auf die Zwischenzeugnisse zu…
Und nun Jesu Wort und Geste: Schweigt! Verstummt! Ihr Wellen des Lebenssturms… ein Moment. Ein Fingerzeig: Du bist nicht nur in diesen Stürmen gefangen. Da ist auch die Ruhe. Da ist Gott, der mächtiger ist als all diese Lebenswidrigkeiten. Da sind die Momente, die Kraft geben…. Eine einfache Geste… eine Umarmung von einem Freund… das Zischen eines Streichholzes und dann die lodernde Kerze, die zur Besinnung ruft… ein echter Reel, der nicht nur als Manipulation oder Verdummung daherkommt, sondern etwas von der Schönheit der Kunst erzählt, ein Moment, in dem die Oboe in der Kantaten-Symphonia eine der schönsten Melodien Bachs anhebt… die Krankheit und den Tod schon eigentlich beim ersten Ton ganz klein und unbedeutend erscheinen lässt.
Ja, ich würde sogar noch einen Schritt weitergehen. Jesus mit dieser Superheldengeste ist doch hier ein Vorbild für Mut und Stärke… die ich oft selber nicht habe oder nicht aufbringen will oder nicht aufbringen kann. Für mich könnte das bedeuten: ja, bleib ruhig, so wie Jesus, aber erhebe dann die Stimme, wenn es wirklich dran ist. Eine Stimme der vielen stillen Menschen, die oft nicht wahrgenommen werden. Ich meine das so wie in einem Lied von den Prinzen (die Leipziger Popgruppe) – die habe ich in meiner Jugendzeit ganz besonders geliebt. Da gibt es einen Song mit dem Titel „Mein bester Freund“. Als beste Freunde nennt der Sänger Robin Hood, Sherlock Holmes und Winnetou. Und stellt er fest:
„Doch leider sind die Freunde alle tot
Und das ist für mich sehr schwer.
Leider sind die Freunde alle tot,
Es waren meine Vorbilder.
Deshalb kämpf ich jetzt [selber]
Gegen das Unrecht in der Welt.“
Was ist für Sie Unrecht in der Welt? Ist es soziale Ungerechtigkeit? Ist es die Gewalt? Sind es Konflikte? Ist es persönliche Ohnmacht?
Meine Tochter hatte mir vor Kurzem einmal gesagt (ich hatte eine Geschichte mit einem etwas schlüpfrigen Charakter in einem Buch von Astrid Lindgren vorgelesen): „Also wenn da jemand ist, der mich anfassen will [der Mann im Buch zwickt dem Mädchen immer in die Backe], dann mache ich STOPP mit meiner Hand. Mein Körper gehört mir!“… Ich war erst etwas baff und überrascht, das so direkt und mutig zu hören. Und dann habe ich mich natürlich auch gefreut. Später habe ich gesehen, dass sie das im Unterricht behandelt hatten. Aber genau das ist es: Stopp sagen, die Stimme erheben, Jesus sagt: Verstumme, Schweig Stille!
Und dann noch ein dritter Blick, ein Gedankenspiel: stellen Sie sich vor, Jesus wäre nicht aufgestanden. Jesus hätte nicht in den Sturm eingegriffen. Wie wäre es weitergegangen? Wäre das Boot gekentert? Hätte es gar Tote gegeben? Oder hätte das Boot den Wellen trotzdem getrotzt, die Jünger, zum Teil erfahrene Fischer, hätten sich zusammengerissen, all ihre Navigationskunst aufgebracht… die Situation hätte sich auch so zum Guten gewendet. Wir wissen es nicht… auch wenn Jesus andeutet: ihr hättet es eigentlich auch ohne mich geschafft… Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben? – legt es Martin Luther in Jesu Mund.
Ja, am Ende bleiben wir auf diesen Glauben zurückgeworfen, an den Glauben an diesen Jesus und die offene Frage: Wer ist der, dass ihm Wind und Meer gehorsam sind!
Wie es ist, wenn ein Boot auf offener See kentert, weiß ich nicht… welche Gefühle, welche Ängste und Hoffnungen die betroffenen Seeleute haben, kann ich nur erahnen. Ich habe es nicht erlebt… das Boot kann kentern, das Boot kann gerettet werden. Aber was ich habe, das ist der Glaube an Jesus.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
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