07.04.2025
über Johannes 18,28-19,5 (Lut17); gehalten in der Annenkapelle des Doms zu Freiberg von Dompfarrer Dr. Gunnar Wiegand
Der Predigttext Johannes 18,28-19,5 wurde als dialogisches Evangelium verlesen.
Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen. Stille…
Liebe Gemeinde,
kühle, taugeschwängerte Frühlingsluft, frisch und doch warm im mediterranen Gebirge Jerusalems. Der Duft von Zypressen und Pinien, Oliven und Macchia in der Luft. Die ersten Menschen sind schon auf den Straßen – trotz des Feiertags, des Passafestes. Eigenartig präsent diese geistlichen und politischen Führer, eigenartig geschäftig die Polizei… Eine Patrouille vom Palast des Hohepriesters zum Prätorium. Ein Gefangenentransport zum Gerichtshof. Und dann ein öffentliches Gericht…. Vor seinen Toren… die Reinheitsvorschriften sollten gewahrt bleiben. In der Frühe… eine Volksmenge schon so früh ganz bei der Sache… es geht für diese Leute ums Prinzipielle. Gotteslästerung, Macht und Machtmissbrauch, Herrschaft über Juda, Jesus König?
Eine anschauliche Szene… Pilatus genervt von seiner Aufgabe, Menschen in den Tod zu schicken. In aller Frühe. Unsicher – obwohl staatstragend. Tastend. Ja vorsichtig… fast ängstlich, er will kein falsches Urteil sprechen, keine Schuld auf sich laden. Er ist unter Druck durch die Volksmenge. Und am Ende versagt er doch… er überlässt das Urteil der Volksmenge, gibt einen Räuber frei. Jesus wird verurteilt: aus Sicht des Pilatus unschuldig, schuldig aus Sicht der Menge. (aus der so oft musizierten Johannespassion von J. S. Bach in meinem Inneren ganz präsent).
Im zweiten Moment befremdet diese Szene – wie ich finde. Ein eigenartiger Dialog über Macht, Königsmacht. Ein Dialog, der ganz prinzipiell ist… und irgendwie in eine Sackgasse zu münden scheint. Positiv ausgedrückt: Jesus konsequent seinen Weg aus der Wahrheit gehend – Heilsgeschichte von der Theologie genannt.
Und am Ende: Erschütterung, Angst Wut, Trauer… das unbefriedigende Gefühl: Jesus hat versagt… auch wenn ich natürlich irgendwie weiß, dass das richtig war… ein Weg der Wahrheit. Sein grausamer Tod macht trotzdem betroffen, provoziert. Wie kann Gott nur sterben, ein Räuber hingegen freigelassen werden?
Befremdend empfinde ich diesen Disput, weil es um die Stellung der Herrschaft, der Königsherrschaft geht. Könige sind in meiner Erfahrungswelt sehr weit weg. Ich kennen sie aus Märchen oder der Fantasy. Ich weiß, dass es bis 1918 in Deutschland Könige gegeben hat. Ich weiß, dass es andere Länder gibt, in denen der König eine wichtige gesellschaftliche Rolle spielt – (z.B. in England oder Schweden). Natürlich sind die Spuren der Königsherrschaft bis heute bei uns präsent. Ich predige im Dom mit Blick auf die leere Königskanzel, die Königswappen Sachsens und Bayerns zieren hier die Annenkapelle – mit allen Ambivalenzen und dem religiösen Verrat an der lutherischen Kirche durch das katholische Königtum in Sachsen. Ich weiß, dass das Königtum, die Monarchie für manche Leute bis heute eine Anziehungskraft ausübt – wenn ich an den selbsternannten König von Deutschland, diesem Typen in Halsbrücke denke. Ich bin froh, dass wir kein Königtum mehr haben, in einem demokratischen Staat leben.
Nun könnte man den Gedanken haben: welche Relevanz hat dieser Ausschnitt bei Johannes dann eigentlich noch? Reden die beiden Protagonisten Jesus und Pilatus nicht in Kategorien, für die es heute keine Entsprechungen mehr gibt? Bei diesen Fragen lande ich doch sehr schnell beim allgemeinen Thema Macht. Natürlich haben wir heute keine Monarchie mehr… aber die Frage nach der Macht ist wie eine anthropologische Konstante… Macht durchwebt menschliche Beziehungen auf Schritt und Tritt, hält die Menschen im Griff, hält sie klein, macht sie groß… im wahrsten Sinn des Wortes Macht macht etwas… mit uns, mit jedem. Und dann immer die Frage: wer hat sie – die Macht? Zwei Konkretionen aus dem Alltag:
- Mich macht es sprachlos, wie Donald Trump ohne größere Widerstände in der Bevölkerung der USA ein Dekret nach dem anderen unterzeichnet… schlimmer und willkürlicher als wahrscheinlich jeder Befehl eines Monarchen vor 150 Jahren. Da werden Handelsverträge, die von demokratisch legitimierten Gremien ausgehandelt wurden einfach ignoriert. Da werden mit Dekreten einfach massenhaft Leute in die Arbeitslosigkeit entlassen – im Moment v.a. im Gesundheitswesen. Da werden Jahrzehntelange Militärbündnisse den Interessen einer einigen Person und seinen Hampelmännern untergeordnet und aufgelöst. Es erschüttert mich, dass sich das die vielen Menschen gefallen lassen. Ist das Verblendung? Ist das Angst oder einfach nur unglaubliche Ignoranz?
- Für die Machtfrage muss man nicht erst in die große Politik abschweifen. Die Machtfrage stellt sich im Alltag immer wieder neu. Wer hat das Sagen? Wer räumt den Tisch nach dem Essen auf? Wer spült ab? Auf welchen Urlaub einigt man sich? Wer steht im Unternehmen vorne dran auf dem Pressefoto? Wer kriegt das größte Stück vom Kuchen? Wie einigt man sich? Durch Ignorieren, Schweigen, Manipulation oder Gebrüll? Mit traditionsverbundenen Worten oder hippen Mainstreamslogans? Geht es um echte Argumente oder nur um Rechthaberei? Ist das überhaupt zu trennen?
Der Dialog zwischen Pilatus und Jesus und der Volksmenge rankt genau um diese Frage der Macht… das Königtum kann hier als Metapher aufgefasst werden. Und Jesus verlagert diese Frage der Macht: es ist nicht von Bedeutung, wer hier auf der Erde König ist, der Mächtige ist – auch wenn die Volksmenge das vordergründig immer wieder einfordert und später sogar mit einem dreisprachigen Zettel zementiert (Ich sage ich bin der König der Juden). Entscheidend für Jesus ist die Macht im Himmel… und diese Macht geht mit der Ohnmacht hier auf dieser Welt einher. Jesus als Gefangener, also ein zu Tode Verurteilter steht für diese Ohnmacht. Er ist ein Mann mit einer Dornenkrone gekrönt – wie es nach seiner Verurteilung passieren wird.
Und Jesus verknüpft außerdem das Bild des Königs mit der Frage der Wahrheit. In Jesu Worten: „Du sagst: Ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit bezeuge. Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme.“
Da klingt wieder das „Ego eimi“ mit, hebräisch „Anoki Adonai“. Es schwingt der Gottesname mit. „Ich bin…! hatte sich Jesus mit verschiedenen Bildern im Lauf des Johannesevangeliums den Leuten vorgestellt („Ich bin das Brot des Lebens“ hatten wir in der letzten Woche als Thema). Göttlichkeit, Gottes Königtum und Wahrheit gehen Hand in Hand.
Ein wahnsinniger Anspruch. Ein Anspruch, den ich entweder annehmen kann oder nicht. Es bleibt nur: Jesus glauben oder nicht glauben… wieder einmal ein Scheideweg… wieder eine Erinnerung, wieder eine Herausforderung, die sich allen Möglichkeiten ihrer Bestätigung entzieht. Ein Philosophieprofessor von mir, Pirmin Stekeler-Weithofer, hat in einem großartigen Buch dafür den Begriff der Sinn-Kriterien gebraucht. Jesus entzieht sich hier aber einem solchen empiristischen Sinnkriterium. Diese Wahrheit von Jesus kann ich beim Anschauen der Welt nicht finden oder nachweisen. Und es bringt auch nichts sie aus logischen Axiomen zu deduzieren. Jesu Wahrheit entzieht sich all unserem Denken und Treiben.
Und immerhin: Pilatus scheint sich angetriggert zu fühlen und fragt zurück: Was ist Wahrheit? Obwohl er sehr genau erkennt, dass es hier um keinen naturwissenschaftlichen oder logischen Wahrheitsbegriff geht, hat er gefallen daran, dass Jesus einen anderen Wahrheitsbegriff einführt. Provokant, aber in seiner Weise überzeugend. Er will ihn nicht verurteilen – vielleicht, weil er erkennt, dass sich Jesu Wahrheitsanspruch den herkömmlichen Kategorien entzieht…. Aber zu feige, Jesus ernsthaft zu verteidigen… er überlässt das fatale Todesurteil der Volksmenge.
„Da schrien sie wiederum: Nicht diesen, sondern Barabbas! Barabbas aber war ein Räuber.“
Was bleibt bei dieser Farce eines Prozesses nach heutigen Rechtsstaatlichen Prinzipien?
Die Sonne scheint inzwischen kräftig – auch zu dieser Jahreszeit. Das Leben ist vollends erwacht in Jerusalem. Das Passafest ist im vollen Gang. Es wird Zeit zu gehen. Die Szene verlagert sich… da steht Jesus, ein Mensch. Verurteilter. Versagt und doch stark geblieben, seiner Berufung gemäß. Gott ohnmächtig. Gott mächtig in der Ohnmacht, Gott gekrönt mit Dornen. Ein Ohnmachtsmensch… und ein bitterer Nachgeschmack… Warum?
Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
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