31.07.2023
zu Offenbarung 22, 1 - 5: Die Wasser des Heils; Johannes 7, 38: Ströme lebendigen Wassersgehalten von Frau Prof. Dr. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz
Ströme lebendigen Wassers im dreimaligen Anfang
Dank für die Einladung, Dank auch für das Redendürfen in diesem herrlichen Dom. Wie kann man dieser Herausforderung gerecht werden? Wir hören auf Laudato si (LS), die Enzyklika von 2015, auch mit Hilfe Romano Guardinis, der dort mehrfach zitiert wird.
Naturfrömmigkeit unter Verzicht auf den Menschen?
Naturfrömmigkeit ist heute in aller Mund und Herz wie seit der Romantik nicht mehr. „Bio“ und „Mutter Erde“ bestimmen das Denken und politische Handeln, mehr noch: sie bringen eine Sehnsucht nach dem hervor, was in der Vergangenheit (angeblich) einmal war. Was war: Erinnerung an eine Überfülle von Gaben aus Händen, Busen, Schoß der Mutter Natur. Stattdessen scheint die unerschöpfliche Mutter heute erschöpft, von Algen zugewachsen, dem Hitzekollaps nahe, von schmelzenden Polkappen ertränkt. Auch das Christentum wird beschuldigt, an dem Muttermord durch Fortschritt mitgewirkt zu haben (während es sonst umgekehrt als dessen größte Bremse bezeichnet wurde). Schon in der knappen Weisung Gottes im biblischen Schöpfungsbericht, sich die Erde untertan zu machen, liege der Keim der Vernutzung und Übernutzung.
Vor dem sich gefährlich verdunkelnden Hintergrund einer Technokratie leitet sich eine neue Fehlentwicklung ein: die Vision der All-Mutter, einerseits grüngewandet, all-heilend, andererseits unpersönlich, übermächtig und mit ihrer Souveränität den Menschen bestrafend, weil er als Störfaktor in ein sonst gutes Ganzes eingedrungen sei. Das unterschwellig schlechte Gewissen regt sich in dem Wunsch, die „Natur“ möge in einer Selbstreinigung den Menschen vernichten. Ein Traum der 80er Jahre bei Botho Strauß: „Siehe, der Mensch wird abgehen von dieser Erde / und aus sein in allen seinen Werken. / (...) Und die Erde wird unbemannt sein und aufblühen. / Die gefesselte Hoffnung, befreit von jeglichen Propheten, / wird erlöst sein und in der Stille reichlich wirken. / Frachtlos wiegt sich das Meer. / Unbetreten wandert das Land und spielt an hohen Blumen die Luft.“[1]
Die Versuchung, von der mißhandelten Bühne einfach abzutreten, scheint durchaus anziehend. Selbstbestrafung bietet sich an; schon Albert Camus träumte von einer „Natur ohne Menschen“. Heute geht es um die Abschaffung von Kindern als „Klima-Killern“ - wieso eigentlich Kinder, nicht vor allem Autofahrer, Saunabenutzer, Vielduscher, Ferienflieger…?
Wissenschaft und Technik: Zum Zweck des Menschen
Neben „Mutter Natur“ steht die Auffassung von Natur zur technischen Handhabung. Diese Rationalisierung leiten die Griechen ein. Über Platons Akademie stand der herausfordernde, ja blasphemische Satz: „Nur wer der Geometrie kundig ist, trete ein.“ Nur wer die Mutter Gaia, die Erde, zu vermessen imstande ist, hat das neue Grundgesetz ergriffen, welches Messen, Rechnen und Zählen heißt. Statt vor dem Lüften des mütterlichen Schleiers zurückzuschrecken, wird gerade das Furchtlose als neue Haltung gefordert: die physis in menschlichen Dienst zu nehmen.[2] Diese Entwicklung wird in Laudato si breit entfaltet.
Daraus folgt ein Doppeltes: Einmal der Impuls ungeheurer Schöpferkraft des Menschen, der zum Umgestalter, Verbesserer, Neuplaner des Gegebenen wird. Pico della Mirandola, der von der dignitas hominis spricht, setzt 1486 Adam unerschrocken als „zweiten Gott“ in die unfertig gedachte Schöpfung ein. So wird eine unabschließbare „zweite Schöpfung der Welt“ in Angriff genommen.[3]
Goethe zeigt in Faust II, wie das Widerspenstige in ein „Paradiesisch Bild“ gezwungen wird, und zwar an der herausforderndsten Stelle, in der Zähmung des Meeres (Poseidon war neben Gaia ein Urgott!) durch Deichbauten:
„Kluger Herren kühne Knechte
Gruben Gräben, dämmten ein,
Schmälerten des Meeres Rechte,
Herrn an seiner Statt zu sein.“[4]
Vorher schon Descartes: „(Wir können) uns so zum Herren und Besitzer der Natur machen.“[5]
Als res extensa wird der Körper im Triumphzug des geometrisch-mathematischen Denkens im 17./18. Jahrhundert schließlich dem Regelkreislauf einer Maschine verglichen – l’homme machine. Der heutige Transhumanismus ist darin schon vorgedacht.
Der erste Anfang.
Ursprung der Schöpfung aus Freiheit, nicht aus Notwendigkeit
Dem Doppelentwurf der Natur als Sache und der Mensch-Maschine hält LS die biblische Schöpfung entgegen.
Sie springt auf aus dem Wort eines Schöpfers. Er ist keine personifizierte Naturenergie, ein zwanghaft-vitales Überfließen an Kräften, Ausbruch eines „Vulkans“. Dagegen ist der Gedanke auszufalten, daß die Welt als Tat göttlicher Freiheit geschaffen wird. Der Schöpfer ist in seinem Tun unbegründet, eben frei. Schöpfung trägt nicht die Spuren der Notwendigkeit an sich, sondern der Freiheit. Mit anderen Worten eines Willens, der sie gewollt hat. Theologisch formuliert: einer „Huld“, gratia, die sie warumlos, grundlos gewünscht hat: so daß „die Welt nicht notwendig ist, sondern von einer alle bekannte Freiheit übersteigenden Tat getragen wird“[6].
Natur ist als Kausalgefüge gedacht, Schöpfung aber als Ereignis, das grundsätzlich von Willen, Gestaltungskraft und von nicht kausalen „Ereignissen“ immer wieder verändert werden kann. Schöpfung umfaßt die Natur, aber nicht umgekehrt. Der Begriff Schöpfung umfaßt die Potentialität, das Werden, die Entscheidungsfreiheit des Menschen (und des Schöpfers), während „Natur“ mit einer unklaren und unlogischen Metapher, dem Urknall, „beginnen“ soll. Aus dem Ursprung im Sinn eines Ereignisses folgt: Der dem Menschen am letzten Schöpfungstag erteilte Auftrag der „Weltbeherrschung“ ist tatsächlich nicht ein je nachdem herrisches oder knechtisches Walten, sondern ein Wahrnehmen der aus Freiheit und in Freiheit gesetzten Schöpfung. Die (Weiter-)Gestaltung der Schöpfung in Geschichte ist Auftrag, nicht Arroganz. Erst wenn diese Freiheit als bedingungslos, als Willkür mißverstanden wird, baut der Mensch sie um zum offenen, ziellosen System, in das er entweder störend oder zwingend eingreift. Erst wenn er sein eigenes gestaltendes Wirken in ihr mißversteht, gleitet er ab zum mächtigen Macher. Der Urheber wird dann zur Ursache verschoben und aufs Altenteil eines zeitlich weit zurückliegenden „Anfangs“ versetzt – was noch die höflichste Form der Abdankung ist.[7]
Biblisch gefaßt hat der Mensch die „Herrschaft“ über die Schöpfung als Verwalter und Stimme ihrer Freiheit, die in immer neu andrängender Geschichte gestaltet wird. Hier greifen weder Vergottung der Natur noch ein frustriertes Gehenlasssen, wie es will, und ein mittlerweile modisches Abtreten von der mißhandelten Bühne. Weder der Übermensch (der ethik-resistente Technokrat) noch der von seinem schlechten Gewissen durchsäuerte Zeitgenosse entsprechen dem Auftrag im Garten Eden. Die „Herrschaft“ Adams und Evas ist aus der Freiheit einer wirklichen Gestaltungskraft angetreten: „Gott ist so frei, daß er nur Freie um sich duldet.“ (Thomas von Aquin) So ist die „Grammatik der Schöpfung“[8] von ihrem Ursprung her zu lesen: von ihrem „woher?“ bis zu ihrem „wozu?“ Davon reden auch die kosmologischen Bilder des Epheser- und Kolosser-Briefes. Sie enthalten Sinn, nämlich eine Richtung des Kosmos auf ein Ziel hin, das selbst ein personales Antlitz trägt: Gott. Als Schöpfer habe er, so erzählen die bibischen Grundtexte, sein eigenes Antlitz in den Menschen eingetragen (Gen 1,28) - aber in kleinerem Maßstab auch in die anderen Geschöpfe.
Es gibt das Wort des großen Insektenforschers Jean-Henri Fabre, der ihr unglaubliches, subtiles Eingespieltsein aufeinander untersucht hat und ausgerufen habe: „Ich glaube nicht an Gott, ich sehe ihn.“ Oder der Psalmvers: „Te saxa loquuntur.“ „Von Dir sprechen die Steine.“
Und LS 12: (…) Natur als ein prächtiges Buch (…), in dem Gott zu uns spricht und einen Abglanz seiner Schönheit und Güte aufscheinen lässt: „Von der Größe und Schönheit der Geschöpfe lässt sich auf ihren Schöpfer schließen“ (Weish 13,5), und „seine unsichtbare Wirklichkeit [wird] an den Werken der Schöpfung mit der Vernunft wahrgenommen, seine ewige Macht und Gottheit“ (Röm 1,20). Deshalb forderte Franziskus, im Konvent immer einen Teil des Gartens unbebaut zu lassen, damit dort die wilden Kräuter wüchsen.
Statt Maschinenmensch: Der gelöste Mensch
„Nur wer Gott kennt, kennt den Menschen.“ So lautete Guardinis Thema auf dem Berliner Katholikentag 1952. Der Satz ist bekannt und (deswegen) überhört. Denn wer kennt Gott?
Christentum hat Gott, den Lebendigen, als Kraft des Werdens gedacht und erfahren. Als Kraft des Ur-Anfangs in der Schöpfung, denn der Vater schafft nach dem Credo alles durch den Sohn. Dann aber wird Christus tiefer noch der zweite Anfang der Welt in der Erlösung – denn diese ist „größer als die Schöpfung“: „Und wenn schon das Schaffen, welches macht, daß das Nichtseiende werde, ein undurchdringliches Geheimnis ist, so ist allem Menschenblick und Menschenmaß vollends entrückt, was das heißt, daß Gott aus dem Sünder einen Menschen macht, der ohne Schuld dasteht. Es ist ein Schöpfertum aus der reinen Freiheit der Liebe. Ein Tod liegt dazwischen, eine Vernichtung. (...Gottes) Unbegreiflichkeit trifft das Herz.“[9] Und es ist noch ein dritter Anfang angekündigt, in welchem der Menschensohn kommen wird, um eine neue Erde und einen neuen Himmel zu schaffen – apokalyptisch, das heißt: alles aufdeckend.
Von diesem zweiten, „dem anderen Anfang“ her gibt es nach Paulus den „neuen Menschen“, der sich in das zweite Werk Gottes, die Erlösung und Umwandlung der Welt, einsetzen läßt. Auch Adam und Eva waren zum Werk bestimmt, verfehlten es aber; dennoch besteht die Aufgabe fort und muß erschwert fortgeführt werden, allerdings neu ermöglicht in der Passion – Leiden und Leidenschaft – Christi, und darin wird auch der Mensch lebendig, der sich in den Lichtraum seiner Initiativen stellt. „Gott ist gar nicht so, daß er eine fertige Wirklichkeit und auszuführende Forderungen entgegenstellt. Sondern er hat die Fülle der fordernden Wirklichkeit und zu erratenden, mit rechter Initiative u. Schöpfersch.<aft> zu erfassenden Möglichkeit erzeugt. Die Welt wird tatsächlich so, wie der Mensch sie macht.”[10] Von dieser Neuwerdung aus ist Theologie nicht zuerst Anthropologie, sondern zuerst Rede vom göttlichen Logos, zuerst Rede von der Initiative Christi, zuerst Rede von seinem sich mitteilenden Werk. Zu Gott hat der Mensch die Knie zu beugen[11], um dann in ihm zu wirken. Christus ist die Sichtbarkeit Gottes; weder der Vater noch der Geist sind für uns anschaulich. Aber in Christus kann Gott gesehen werden – und der Mensch begreift sich selbst neu.
Die Kraft des Anrufs
Die tiefste Bestimmung des Menschen ist Angerufensein (im Wortsinn von Person). Anfang ist Anruf. Und es ruft ein Wille[12], nicht einfachhin eine gestaltlose Ur-Macht, eine dumpfe, unbewußte All-Natur. Ein ungeheurer Wille schafft mich rufend, wie ich bin, selig, daß ich bin. In diesem Anruf bin ich nicht Kopie, Sklave, ersetzbar von Tausenden, sondern ich bin frei, einzig, „ins Eigensein gegeben“[13]. Dieser Wille ist Glück[14], unerhörte Seligkeit. Es ist die Seligkeit, gewollt zu sein, grundlos umsonst.
„Damit ist gesagt, daß der Mensch aus der Welt hinaus in Gottes Höhe, und von Gott her in die Tiefe der Welt hinein gebaut ist. Ein wunderbares und furchtbares Dasein. Nach der Weise der Brücke ist der Mensch gebaut. Er ist kein Naturwesen, aber auch kein Engel. Ein Entwurf auf etwas Ungeheures hin, ein Plan zu einem Werke göttlicher Schöpfermacht. Den ersten Menschen aber ahnen wir als ein wunderbares Geheimnis unberührter Frische, reiner Kraft, leuchtender Schönheit, aller Verheißungen voll. (...) Als große herrliche Wesen. Sie müssen etwas von dem an sich gehabt haben, was man nachher ‚Götter’ genannt hat, etwas von anderswoher Kommendes, etwas Mythisches. Sie hätten uns wohl erdrückt durch die Mächtigkeit ihrer Existenz. (...) Es ist etwas sehr Tiefes, wenn der Gedanke der ersten Menschen wirklich lebendig wird...“[15] Aber eben diese Größe war die Versuchung; nicht weil der Mensch klein, sondern weil er groß gedacht war, fiel er.
Verlust des Anfangs
Und Verschließung ist möglich: Man kann sich zwar nicht gegen die Urtatsache wehren, sich geschenkt zu sein; anders ausgedrückt: man kann sich nicht gegen die Seligkeit wehren, gewollt zu sein – und doch wird eben das versucht, von jedem Menschen seit Adam. Warum das so ist, wie das sein kann, gehört in den unentschlüsselbaren Bereich der Sünde. Sie ist in ihrem Urbestand (der freilich nicht „stand“hält) „empörte Endlichkeit“[16]. Empörung gegen das Geschenktsein nämlich, Empörung gegen den Dank. Daraus aber dann die Preisgabe, das Verworfensein, die Angst.[17] Angst ist ein Zweites, nach der Verweigerung des Geliebtseins nämlich, aber das Erste ist Geliebtsein und Wiederlieben. „(Liebe) ist die Macht des Anfangs schlechthin.“[18]
Das Werden des neuen Menschen: Der zweite Anfang
Aus der Menschwerdung des Logos erhebt sich der neue, der andere Anfang, die „zweite Schöpfung“, der „neue Mensch“: „Was heißt Glauben? Aus Christus heraus, aus einem Worte, aus seinem Bilde, aus seinem Leben, aus der Kraft seines erlösenden Todes und seiner Auferstehung überzeugt sein, daß die Welt nicht ist, wie sie sichtbar scheint. (…) durch die Erlösung ist in ihr ein neuer Anfang geschehen. Von dorther geht eine zweite Schöpfung vor sich. Der Glaube aber hat es daraufhin gewagt und hält fest, daß dieses Werden der neuen Schöpfung sich in jedem Menschen vollziehen kann, durch jedes Wort, durch jedes Geschehen. (…) Er selbst wirkt es, ‚zusammen’ mit Gott. Denn es soll sich ja nicht bloß an ihm zutragen, sondern es kann sich nur durch Freiheit verwirklichen; wohl von Gott gewirkt, aber im lebendigen Wollen und Wirken des Menschen, das heißt, in seinem Glauben.“[19]
Und die Sünde? „Gott überlässt den Menschen der abfallenden Bewegung, der Sünde nicht. (...) In dem Maße ist Gott zu uns gekommen, dass Christus sagen kann: Deine Sünde ist meine Sünde, meine Sühne ist Deine Sühne; meine Heiligkeit gehört Dir. Christliches Dasein ist ein Leben aus dieser Einheit mit Christus. Es besteht im tiefsten darin, dass ich in einer anderen Person, in Christus existiere.“[20]
Solches Werden ist nicht einfach Eigenleistung. Werden ist Anruf, und zwar zur Freiheit, Werden ist Auftrag, Imperativ und Wille des Schöpfers, der sein Geschöpf stark und schaffend sehen will. Der Mensch ist omnipotentia sub Deo, „Allmacht unter Gott“, so Anselm von Canterbury. Bejaht er sich „sub Deo“, dann werden „Ströme lebendigen Wassers“ aus ihm fließen (Joh 7,38).
Not und Segen der Entscheidung: Der Jakobskampf
Weshalb aber hat der Schöpfer – man kann sagen – gewagt, das gefährliche Instrument freier Entscheidung seinem Geschöpf in die Hand zu geben? Entfaltet wird die Deutung anhand von Jakobs Kampf mit Gott.[21]
Dieser Kampf in Kapitel 32 der Genesis eröffnet einen geheimnisvollen Zusammenhang. Der Jakobskampf erzählt nicht, wie es vor langer Zeit, weit zurückliegend, gewesen ist, sondern wie die bleibende Prägung auf dem Geschlecht der Gottesstreiter aussieht, das Siegel, unter dem alle Künftigen antreten.
Entziffern wir die Erzählung: Jakob, der Flüchtling vor dem betrogenen Bruder Esau, kehrt nach Jahren in der Fremde reich in die Heimat zurück, der Segen seines Vaters Isaak hat sich ausgewirkt: Frauen, Kinder, Herden zeigen sichtbar die Huld Gottes; Reichtum hat sich im Überfluß eingestellt. Esau, der den Betrug nicht vergessen hat, zieht ihm jedoch entgegen, und Jakob bleibt am sicheren Ufer zurück, er fühlt den Kampf voraus und fürchtet ihn. Es wird sich erweisen. ob der sichtbare Segen anhält oder ob Jakob erschlagen wird. Anstelle des Bruders aber, dem er ausweicht, ringt plötzlich, wie aus dem Boden gewachsen, ein Unbekannter mit ihm – ein Engel, ein Bote? Oder Gott selbst? Zu dem Unbekannten gehört schon, daß diese Frage sich nicht schließt, auch am Ende nicht.
Der Kampf ist sonderbar: „ein dunkles Ineinander von Übermacht und Schwächersein zugleich“[22]. Jakob siegt nach der endlosen Nacht, aber er hinkt, denn der andere hat seine Übermacht leichthin demonstriert – er brauchte Jakob nur zu berühren. Aber auch umgekehrt: Jakob hinkt, aber er siegt, denn der mächtige Unbekannte zeigt sich am Ende überwunden. Die Sonne geht auf, und Jakob trägt einen neuen Namen; damit trägt er eine neue Bestimmung und wird in ihr ein zweitesmal und diesmal rechtmäßig den Bruder bezwingen, nämlich durch Versöhnung.
Jakob ist nach Guardini einer der Großen in den Stationen des Heils, ein Mann der Kraft und Schläue. Er gerät in das Geheimnis Gottes, in die schwer zu bestehende Nähe zu Gott und wird darin gezeichnet. Er ist Begründer eines königlichen und hinkenden Geschlechts, das bis zum heutigen Tage fortdauert.
Kann man aber mit Gott wirklich kämpfen? Gibt es wirklich eine Entscheidung für ihn oder gegen ihn? Guardini sieht in der biblischen Überlieferung ein Doppeltes: Sie kennt Gott als den, dem nichts widersteht. Sie kennt ihn aber auch als den, der seine Übergröße zurücknehmen kann. Der Souverän kommt bittend, etwa in Nazareth; er kommt im Maß des Menschlichen, läßt sich fragen und gibt Auskunft. In der Jakobsgeschichte ist beides verbunden: der Unwiderstehliche und der Bezwingbare. Was bedeutet es, daß er im Kampf kommt oder seinen Boten zum Kämpfen schickt, dabei siegt und doch nicht siegt? Offenbar will er, so Guardini, daß der Mensch mit ihm kämpft, ja in geheimnisvoller Weise ihn bezwingt. Hier öffnet Guardini eine wunderbare Aussage über Gott und den Menschen: Gott will den Menschen ringen sehen – gerade weil er ihn als sein Bild geschaffen hat. Auch das gehört zum Ebenbild: nicht als Marionette und Befehlsempfänger geschaffen zu sein, mit dem Gott leichtes Spiel hätte, sondern als Freier, Starker zu leben, zu schaffen, zu gestalten, was zum eigenen Leben dient. Hier liegt die wunderbare Herausforderung zur Entscheidung: Die Liebe will, daß man mit ihr kämpft, daß man um Klärung für sein eigenes Leben kämpft, daß man sich kämpfend mit allen Fragen auf Gott einläßt. Es ist Liebe, die den Menschen nicht als bloßes Kind will. Natürlich gibt es das kindliche Dasein, das Gott nahesteht und dem er sich in rein vollendender Weise kundgibt. Aber das normale Dasein kennt nicht diese Form der frühen Begabung und Vollendung. Seine Normalität besteht im Treffen auf Widerstände, Ungelegenes, Verqueres auch im eigenen Herzen. Die Geschichte Jakobs klärt auf, daß in den Widerständen – zunächst ist ja nur der Bruder und Feind Esau erwartet – ein anderer uns antritt oder anspringt: ein Geheimnisvoller, der sein Visier nicht lüftet. Und er zeigt Macht: Wollte er, so würden wir unterliegen; er zeigt aber auch Bezwingbarkeit: Wollen wir, so können wir eine ganze Nacht lang kämpfen und ihn um Segen bitten. Dieses Ineinander von Herausforderung und Segen, von Widerstand und Sieg, von Nacht und schließlichem Sonnenaufgang ist eine Botschaft vom Wesen Gottes und Wesen des Erwählten. Was als Widerstand und scheinbare Zerstörung kommt, kommt – wenn der gute Kampf gekämpft ist – als Segen. Gottes Macht kommt nicht zerbrechend. Sie fordert ein Äußerstes an Kraft, ein optimum virtutis, aber sie überwältigt nicht. In der Gestalt des Widerstandes will sie als Liebe erfaßt werden.
Dies als Ermutigung für die kommenden Generationen, in der Nacht des Kampfes wie Jakob auszuhalten, bis die Sonne aufgeht. Es ist ja alles erkämpft, im Ringen gegen ihn, mit ihm. „Sein schöpferisches Meinen: das ist mein Anfang (...) Die Wurzeln meines Wesens liegen in dem seligen Geheimnis, daß Gott gewollt hat, ich solle sein.“[23]
Gerade darin fordert er den Menschen heraus zur „Annahme seiner selbst“, zur Annahme eines Wachsens zur Größe, zur Annahme des Ringens mit seinem Ursprung. Daß der Mensch nicht zu einem Automatismus verurteilt ist, sondern sich entscheiden kann, zur eigenen Kraft greifen kann, ist eine der gewaltigsten unter den großen Gaben des Ebenbildes.
Von daher nochmals ein Griff zum ursprünglich paradiesischen Entwurf und der menschlichen Tragik, die von Christus aufgebrochen wurde. „Mein Anfang sind ja doch jene Gestalten von lieblichster Herrlichkeit. In ihnen habe ich begonnen. Die lichte Fülle ihrer Verheißungen ist ja der Ausgang meines Daseins ... Wie soll man es nur ausdrücken, jenes Unsagbare, das aus der Mitte des eigenen Wesens zu ihnen hinschwingt? (...) In mir, als Jetzigem, ist noch das, was einst gewesen war, die Fülle der Unschuld, der schönen, lichten Kraft, das einstige heilige Dasein, aber verloren ... (...) diesem Dasein ist etwas Unsagbares eigen und entglitten. (...) Dahinein spricht Christus Sein Wort. Er erst löst das Unbegreifliche, das dunkle Geheimnis, wie ich bin, indem Er in ihm selbst zeigt, was sein soll, und verheißt, was werden wird.“[24]
Der dritte Anfang
Die Mitte christlichen Denkens ist der Blick auf das Ringen Gottes mit dem Menschen. Aufbrechen aus dem Dunkel der Sünde heißt, sich in die Herausforderung Christi zu stellen. Mit aller Kraft - denn es gehört zur Größe der Gnade, daß sie unsere Mitwirkung wünscht. Im dritten Neuwerden der Schöpfung, in der Apokalypse, werden diese noch undurchschauten Zusammenhänge dann endlich geöffnet. „Gott muß uns ‚unbekannt’ sein. Doch gerade seine Unbekanntheit geht uns an. Sie ist das Kostbarste. Sie verheißt uns Heimat. Unsere Seele wittert im Unbekannten das Eigentliche, woraus sie lebt, und den Ort, wo sie hingehört.“[25]
Wer das begreift, „aus dessen Innerem werden Ströme lebendigen Wassers fließen“. Ein unglaubliches Bild: Denn bisher strömen aus unserem Leib unlautere Wasser. Und nun tut sich eine solche Verheißung auf!
„Am Ende werden wir der unendlichen Schönheit Gottes von Angesicht zu Angesicht begegnen (1 Kor 13,12) und können mit seliger Bewunderung das Geheimnis des Universums verstehen, das mit uns an der Fülle ohne Ende teilhaben wird. Ja, wir sind unterwegs zum Sabbat der Ewigkeit, zum neuen Jerusalem, zum gemeinsamen Haus des Himmels. Jesus sagt uns: „Ich mache alles neu“ (Offb 21,5). Das ewige Leben wird ein miteinander erlebtes Staunen sein, wo jedes Geschöpf in leuchtender Verklärung seinen Platz einnehmen und etwas haben wird, um es den endgültig befreiten Armen zu bringen.“ (LS 243)
Die Wasser des Heils werden nicht tröpfeln, sondern strömen.
Laudato si15. Überblick über die aktuelle ökologische Krise geben, zu dem Zweck, die besten Ergebnisse des heutigen Stands der wissenschaftlichen Forschung zu übernehmen, uns davon zutiefst anrühren zu lassen und dem dann folgenden ethischen und geistlichen Weg eine Basis der Konkretheit zu verleihen. Aus dieser Perspektive werde ich einige Hinweise aufgreifen, die sich aus der jüdisch-christlichen Überlieferung ergeben, in der Absicht, unserem Engagement für die Umwelt eine größere Kohärenz zu verleihen. Dann werde ich versuchen, zu den Wurzeln der gegenwärtigen Situation vorzudringen, so dass wir nicht nur die Symptome betrachten, sondern auch die tiefsten Ursachen. Auf diese Weise können wir eine Ökologie vorschlagen, die in ihren verschiedenen Dimensionen den besonderen Ort des Menschen in dieser Welt und seine Beziehungen zu der ihn umgebenden Wirklichkeit einbezieht. Im Licht dieser Überlegung möchte ich fortfahren mit einigen ausführlichen Leitlinien für Dialog und Aktion, die sowohl jeden von uns als auch die internationale Politik betreffen. Und da ich überzeugt bin, dass für jede Veränderung Beweggründe und ein erzieherischer Weg nötig sind, werde ich schließlich einige Leitlinien zur menschlichen Reifung vorschlagen, die von dem Schatz der christlichen spirituellen Erfahrung inspiriert sind.77. „Durch das Wort des Herrn wurden die Himmel geschaffen“ (Ps 33,6). So wird uns gezeigt, dass die Welt aus einer Entscheidung hervorging, nicht aus dem Chaos oder der Zufallswirkung, und das verleiht ihr noch mehr Würde. Es gibt eine freie Entscheidung, die in dem schöpferischen Wort ausgedrückt ist. Das Universum entstand nicht als Ergebnis einer willkürlichen Allmacht, einer Demonstration von Kraft oder eines Wunsches nach Selbstbestätigung. Die Schöpfung ist in der Ordnung der Liebe angesiedelt. Die Liebe Gottes ist der fundamentale Beweggrund der gesamten Schöpfung: „Du liebst alles, was ist, und verabscheust nichts von allem, was du gemacht hast; denn hättest du etwas gehasst, so hättest du es nicht geschaffen“ (Weish 11,24). Jedes Geschöpf ist also Gegenstand der Zärtlichkeit des Vaters, der ihm einen Platz in der Welt zuweist. Sogar das vergängliche Leben des unbedeutendsten Wesens ist Objekt seiner Liebe, und in diesen wenigen Sekunden seiner Existenz umgibt er es mit seinem Wohlwollen. Der heilige Basilius der Große sagte, dass der Schöpfer auch „die unerschöpfliche Güte“[44] ist, und Dante Alighieri sprach von der „Liebe, welche die Sonne und die Sterne bewegt“.[45] Daher steigt man von den geschaffenen Werken Gottes auf „zu seiner liebevollen Barmherzigkeit“.[46]78. Zugleich entmythologisierte das jüdisch-christliche Denken die Natur. Ohne aufzuhören, sie wegen ihrer Pracht und ihrer Unermesslichkeit zu bewundern, schrieb es ihr keinen göttlichen Charakter mehr zu. Auf diese Weise wird unsere Verpflichtung ihr gegenüber noch mehr betont. Eine Rückkehr zur Natur darf nicht auf Kosten der Freiheit und der Verantwortung des Menschen geschehen, der ein Teil der Welt ist mit der Pflicht, seine eigenen Fähigkeiten auszubauen, um die Welt zu schützen.86. Die Gesamtheit des Universums mit seinen vielfältigen Beziehungen zeigt am besten den unerschöpflichen Reichtum Gottes. Der heilige Thomas von Aquin hob weise hervor, dass die Vielfalt und die Verschiedenheit „aus der Absicht des Erstwirkenden“ entspringen, der wollte, dass „das, was dem einen zur Darstellung der göttlichen Güte fehlt, ersetzt werde durch das andere“[60], weil seine Güte „durch ein einziges Geschöpf nicht ausreichend dargestellt werden kann“.[61] Deshalb müssen wir die Verschiedenheit der Dinge in ihren vielfältigen Beziehungen wahrnehmen.[62] Man versteht also die Bedeutung und den Sinn irgendeines Geschöpfes besser, wenn man es in der Gesamtheit des Planes Gottes betrachtet. So lehrt der Katechismus: „Die gegenseitige Abhängigkeit der Geschöpfe ist gottgewollt. Die Sonne und der Mond, die Zeder und die Feldblume, der Adler und der Sperling – all die unzähligen Verschiedenheiten und Ungleichheiten besagen, dass kein Geschöpf sich selbst genügt, dass die Geschöpfe nur in Abhängigkeit voneinander existieren, um sich im Dienst aneinander gegenseitig zu ergänzen.“[63]89. Die Geschöpfe dieser Welt können nicht als ein herrenloses Gut betrachtet werden: Alles ist dein Eigentum, Herr, du Freund des Lebens (vgl. Weish 11,26). Das gibt Anlass zu der Überzeugung, dass sämtliche Geschöpfe des Universums, da sie von ein und demselben Vater erschaffen wurden, durch unsichtbare Bande verbunden sind und wir alle miteinander eine Art universale Familie bilden, eine sublime Gemeinschaft, die uns zu einem heiligen, liebevollen und demütigen Respekt bewegt. 104. Wir können aber nicht unbeachtet lassen, dass die Nuklearenergie, die Biotechnologie, die Informatik, die Kenntnis unserer eigenen DNA und andere Fähigkeiten, die wir erworben haben, uns eine gewaltige Macht verleihen. Besser gesagt, sie geben denen, welche die Kenntnis und vor allem die wirtschaftliche Macht besitzen, sie einzusetzen, eine beeindruckende Gewalt über die gesamte Menschheit und die ganze Welt. Nie hatte die Menschheit so viel Macht über sich selbst, und nichts kann garantieren, dass sie diese gut gebrauchen wird, vor allem wenn man bedenkt, in welcher Weise sie sich gerade jetzt ihrer bedient.105. Der Mensch ist nicht völlig autonom. Seine Freiheit wird krank, wenn sie sich den blinden Kräften des Unbewussten, der unmittelbaren Bedürfnisse, des Egoismus und der Gewalt überlässt. In diesem Sinne ist er seiner eigenen Macht, die weiter wächst, ungeschützt ausgesetzt, ohne die Mittel zu haben, sie zu kontrollieren. Er mag über oberflächliche Mechanismen verfügen, doch wir können feststellen, dass er heute keine solide Ethik, keine Kultur und Spiritualität besitzt, die ihm wirklich Grenzen setzen und ihn in einer klaren Selbstbeschränkung zügeln.221. das Bewusstsein, dass jedes Geschöpf etwas von Gott widerspiegelt und eine Botschaft hat, die uns etwas lehren kann, oder die Gewissheit, dass Christus diese materielle Welt in sich aufgenommen hat und jetzt als Auferstandener im Innersten eines jeden Wesens wohnt, es mit seiner Liebe umhüllt und mit seinem Licht durchdringt – helfen uns, diese Umkehr mit reichem Sinn zu erfüllen. Das Gleiche gilt für die Erkenntnis, dass Gott die Welt erschaffen und in sie eine Ordnung und eine Dynamik hineingelegt hat (…) zulassen, dass die Kraft und das Licht der empfangenen Gnade sich auch auf ihre Beziehung zu den anderen Geschöpfen und zu der Welt, die sie umgibt, erstrecken und jene sublime Geschwisterlichkeit mit der gesamten Schöpfung hervorrufen, die der heilige Franziskus in so leuchtender Weise lebte.222. Es handelt sich um die Überzeugung, dass „weniger mehr ist“. Die ständige Anhäufung von Möglichkeiten zum Konsum lenkt das Herz ab und verhindert, jedes Ding und jeden Moment zu würdigen. Dagegen öffnet das gelassene Sich-Einfinden vor jeder Realität, und sei sie noch so klein, uns viel mehr Möglichkeiten des Verstehens und der persönlichen Verwirklichung. Die christliche Spiritualität regt zu einem Wachstum mit Mäßigkeit an und zu einer Fähigkeit, mit dem Wenigen froh zu sein. Es ist eine Rückkehr zu der Einfachheit, die uns erlaubt innezuhalten, um das Kleine zu würdigen, dankbar zu sein für die Möglichkeiten, die das Leben bietet, ohne uns an das zu hängen, was wir haben, noch uns über das zu grämen, was wir nicht haben. Das setzt voraus, die Dynamik der Herrschaft und der bloßen Anhäufung von Vergnügungen zu meiden.223. Die Genügsamkeit, die unbefangen und bewusst gelebt wird, ist befreiend. Sie bedeutet nicht weniger Leben, sie bedeutet nicht geringere Intensität, sondern ganz das Gegenteil. In Wirklichkeit kosten diejenigen jeden einzelnen Moment mehr aus und erleben ihn besser, die aufhören, auf der ständigen Suche nach dem, was sie nicht haben, hier und da und dort etwas aufzupicken: Sie sind es, die erfahren, was es bedeutet, jeden Menschen und jedes Ding zu würdigen, und die lernen, mit den einfachsten Dingen in Berührung zu kommen und sich daran zu freuen. So sind sie fähig, die unbefriedigten Bedürfnisse abzubauen, und reduzieren die Ermüdung und das versessene Streben. Man kann wenig benötigen und erfüllt leben, vor allem, wenn man fähig ist, das Gefallen an anderen Dingen zu entwickeln und in den geschwisterlichen Begegnungen, im Dienen, in der Entfaltung der eigenen Charismen, in Musik und Kunst, im Kontakt mit der Natur und im Gebet Erfüllung zu finden.236. In der Eucharistie findet die Schöpfung ihre größte Erhöhung. Die Gnade, die dazu neigt, sich spürbar zu zeigen, erreicht einen erstaunlichen Ausdruck, wenn der menschgewordene Gott selbst so weit geht, sich von seinem Geschöpf verzehren zu lassen. Auf dem Höhepunkt des Geheimnisses der Inkarnation wollte der Herr durch ein Stückchen Materie in unser Innerstes gelangen. Nicht von oben herab, sondern von innen her, damit wir ihm in unserer eigenen Welt begegnen könnten. In der Eucharistie ist die Fülle bereits verwirklicht, und sie ist das Lebenszentrum des Universums, der überquellende Ausgangspunkt von Liebe und unerschöpflichem Leben. Vereint mit dem in der Eucharistie gegenwärtigen inkarnierten Sohn sagt der gesamte Kosmos Gott Dank. Tatsächlich ist die Eucharistie von sich aus ein Akt der kosmischen Liebe: „Ja, kosmisch! Denn auch dann, wenn man die Eucharistie auf dem kleinen Altar einer Dorfkirche feiert, feiert man sie immer in einem gewissen Sinn auf dem Altar der Welt.“[166] Die Eucharistie vereint Himmel und Erde, umfasst und durchdringt die gesamte Schöpfung. Die Welt, die aus den Händen Gottes hervorging, kehrt zu ihm zurück in seliger und vollkommener Anbetung: Im eucharistischen Brot „ist die Schöpfung auf die Vergöttlichung, auf die heilige Hochzeit, auf die Vereinigung mit dem Schöpfer selbst ausgerichtet“.[167] Darum ist die Eucharistie auch eine Quelle des Lichts und der Motivation für unsere Sorgen um die Umwelt und richtet uns darauf aus, Hüter der gesamten Schöpfung zu sein.239. Für die Christen führt der Glaube an den einen Gott, der trinitarische Communio ist, zu dem Gedanken, dass die gesamte Wirklichkeit in ihrem Innern eine eigentlich trinitarische Prägung besitzt. Der heilige Bonaventura ging so weit zu sagen, dass der Mensch vor der Sünde entdecken konnte, wie jedes Geschöpf „bezeugt, dass Gott dreifaltig ist“. Den Abglanz der Dreifaltigkeit konnte man in der Natur erkennen, „als dieses Buch dem Menschen nicht undurchschaubar war und das Auge des Menschen sich nicht eingetrübt hatte“.[170] Der heilige Franziskaner lehrt uns, dass jedes Geschöpf eine typisch trinitarische Struktur in sich trägt, die so real ist, dass sie spontan betrachtet werden könnte, wenn der Blick des Menschen nicht begrenzt, getrübt und schwach wäre. So weist er uns auf die Herausforderung hin, zu versuchen, die Wirklichkeit unter trinitarischem Gesichtspunkt zu entschlüsseln.240. (…) die Welt, die nach göttlichem Bild erschaffen ist, ist ein Gewebe von Beziehungen. Die Geschöpfe streben auf Gott zu, und jedes Lebewesen hat seinerseits die Eigenschaft, auf etwas anderes zuzustreben, so dass wir innerhalb des Universums eine Vielzahl von ständigen Beziehungen finden können, die auf geheimnisvolle Weise ineinandergreifen.[171] Das lädt uns nicht nur ein, die vielfältigen Verbindungen zu bewundern, die unter den Geschöpfen bestehen, sondern führt uns dahin, einen Schlüssel zu unserer eigenen Verwirklichung zu entdecken. Denn die menschliche Person wächst, reift und heiligt sich zunehmend in dem Maß, in dem sie in Beziehung tritt, wenn sie aus sich selbst herausgeht, um in Gemeinschaft mit Gott, mit den anderen und mit allen Geschöpfen zu leben. So übernimmt sie in ihr eigenes Dasein jene trinitarische Dynamik, die Gott dem Menschen seit seiner Erschaffung eingeprägt hat. Alles ist miteinander verbunden, und das lädt uns ein, eine Spiritualität der globalen Solidarität heranreifen zu lassen, die aus dem Geheimnis der Dreifaltigkeit entspringt.241. (…) alle Geschöpfe besingen ihre Schönheit. Sie ist die Frau „mit der Sonne bekleidet; der Mond […] unter ihren Füßen und ein Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt“ (Offb 12,1). In den Himmel erhoben, ist sie Mutter und Königin der ganzen Schöpfung. In ihrem verherrlichten Leib, vereint mit dem auferstandenen Christus, hat ein Teil der Schöpfung die ganze Fülle ihrer Schönheit erreicht. Sie schaut in ihrem Herzen nicht nur auf das ganze Leben Jesu, das sie dort sorgsam bewahrte (vgl. Lk 2,19.51), sondern versteht jetzt auch den Sinn von allem. Darum können wir sie bitten, dass sie uns hilft, diese Welt mit weiseren Augen zu betrachten.
Christliches Gebet mit der Schöpfung
Wir preisen dich, Vater, mit allen Geschöpfen,
die aus deiner machtvollen Hand
hervorgegangen sind.
Dein sind sie
und erfüllt von deiner Gegenwart und Zärtlichkeit.
Gelobt seist du.
Sohn Gottes, Jesus,
durch dich wurde alles erschaffen.
In Marias Mutterschoß
nahmst du menschliche Gestalt an;
du wurdest Teil dieser Erde
und sahst diese Welt mit menschlichen Augen.
Jetzt lebst du in jedem Geschöpf
mit deiner Herrlichkeit als Auferstandener.
Gelobt seist du.
Heiliger Geist, mit deinem Licht
wendest du diese Welt der Liebe des Vaters zu
und begleitest die Wehklage der Schöpfung;
du lebst auch in unseren Herzen,
um uns zum Guten anzutreiben.
Gelobt seist du.
O Gott, dreifaltig Einer,
du kostbare Gemeinschaft unendlicher Liebe,
lehre uns, dich zu betrachten
in der Schönheit des Universums,
wo uns alles von dir spricht.
Erwecke unseren Lobpreis und unseren Dank
für jedes Wesen, das du erschaffen hast.
Schenke uns die Gnade, uns innig vereint zu fühlen
mit allem, was ist.
Gott der Liebe,
zeige uns unseren Platz in dieser Welt
als Werkzeuge deiner Liebe
zu allen Wesen dieser Erde,
denn keines von ihnen wird von dir vergessen.
Erleuchte, die Macht und Reichtum besitzen,
damit sie sich hüten vor der Sünde der Gleichgültigkeit,
das Gemeinwohl lieben, die Schwachen fördern
und für diese Welt sorgen, die wir bewohnen.
Die Armen und die Erde flehen,
Herr, ergreife uns mit deiner Macht
und deinem Licht,
um alles Leben zu schützen,
um eine bessere Zukunft vorzubereiten,
damit dein Reich komme,
das Reich der Gerechtigkeit, des Friedens,
der Liebe und der Schönheit.
Gelobt seist du.
Amen.
[1] Botho Strauß, Groß und klein, 1978.
[2] Daß darin auch theologische Momente enthalten sind, ist unstrittig: Platon setzt an den Anfang des Timaios eine Anrufung des Gottes; Aristoteles bedarf des „unbewegten Bewegers“ als arché des Ganzen.
[3] Vgl. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz, Die zweite Schöpfung der Welt. Sprache, Erkenntnis, Anthropologie, Mainz 1994.
[4] Faust II, 11091f.
[5] René Descartes, Discours de la méthode, 6.
[6] Romano Guardini, Zum christlichen Begriff der Welt, in: Die Schildgenossen 17 (1938), 1-19; hier: 11.
[7] Arthur Schopenhauer charakterisiert damit den Deismus des 17. und 18. Jahrhunderts: den Uhrmachergott.
[8] George Steiner, Grammatik der Schöpfung, München 2002.
[9] R. Guardini, Der Herr. Betrachtungen über das Leben und die Person Jesu Christi, Würzburg 1937, 168f.
[10] R. Guardini, Nietzsche-Entwurf (1930er Jahre; Archiv Mooshausen); die Überschrift über dem Zitat lautet: Initiativisches und Produktives // Ethos und Gotteswirklichkeit.
[11] So übersetzt Guardini Eph 3,14, in: ders., In Spiegel und Gleichnis, 119.
[12] Der Anfang aller Dinge, 17 und 25.
[13] R. Guardini, Die Annahme seiner selbst, Würzburg 1955, 19.
[14] Ebd.
[15] R. Guardini, Gestalten aus der Heilsgeschichte. Fünf Morgenbetrachtungen, in: Burgbrief 2 (1933), 17ff.
[16] Die Annahme seiner selbst, 19.
[17] Vgl. ebd., 19; Der Anfang aller Dinge, 23.
[18] “Anfang”, 9.
[19] R. Guardini, Zitat, in: Christliche Verwirklichung, hg. v. Karlheinz Schmidthüs, Rothenfels 1935, 5. Vgl. R. Guardini, Vorschule des Betens, Mainz 1948, 19f.
[20] Rosl Asam, Mitschrift “Stille Tage in Burg Rothenfels“1932 (Archiv Gerl-Falkovitz).
[21] R. Guardini, Jakobs Kampf mit Gott, in: Werkhefte junger Katholiken 1, 8 (1932), 1f.
[22] Ebd., 2.
[23] Der Anfang aller Dinge, 17.
[24] R. Guardini, Gestalten aus der Heilsgeschichte, in: Fünf Morgenbetrachtungen, in: Burgbrief 2 (1933), 19.
[25] R. Guardini, Predigten zum Kirchenjahr, hg. v. Werner Becker, Leipzig 1965, 77.
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