Predigt zum Drittletzten Sonntag des Kirchenjahres, 10. November 2024

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Predigt zum Drittletzten Sonntag des Kirchenjahres, 10. November 2024

11.11.2024

über Micha 4, 1 - 5 (Lut17); gehalten im Dom zu Freiberg von Dompfarrer Dr. Gunnar Wiegand

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen. Stille…

Liebe Gemeinde,

Schweiß auf der Stirn vom steilen mühsamen Aufstieg, die Felsbrocken auf dem Weg noch in den Beinen, das leichte Zittern vor den tiefen Abgründen noch in den Knien. Und dann öffnet sich der Himmel, blau, die Sonne im Äther, ein weiter Blick über den Horizont, die Bergspitzen des Gebirges, der Gipfel ist erklommen… Reine Erhabenheit. Stille, der Wind umweht die feuchte Stirn, Ruhe, Pause… innehalten… tiefer innerer Friede… und ja, auch Dankbarkeit für die Schönheit der Naturgewalten. Wer bin ich, angesichts solcher Erhabenheit? Gott drängt sich mir da auf. Das Gefühl: hier ist Gott irgendwie nah. Ich kann mich Gott nicht entziehen – auch wenn natürlich auf dem Berggipfel mein Gedankenkarussell kreist… wie wird der Abstieg etc…

Na und dann sind da die anderen Menschen, denen man auf so einem Gipfel ja doch auch immer wieder begegnet. Im Mai war ich zum ersten Mal auf der Schneekoppe im Riesengebirge. Auch hier: Schnee, gleichzeitig die Frühlingssonne, das erste Grün und ein fantastischer Ausblick auf Schlesien und ins Wolfstal – etwas enttäuschend das weithin sichtbare Gipfelhaus… leider geschlossen. Dafür aber Scharen an Menschen… aus allen Richtungen zusammenkommend: aus Karpasz, aus Kowary, in Polen oder aus Pez pod Snezku mit der Seilbahn… Polen, Tschechen, Deutsche, Slowenen, Italiener, Holländer, Ukrainer. Es war ein herrliches Miteinander auf diesem Gipfel…

Warum gehe ich auf einen Gipfel? Warum tut man sich eine anstrengende Wanderung auf einen Berg an?

- Ich konzentriere mich auf den Weg.
- Ich nehme die herrliche Naturgewalten wahr.
- Ich freue mich darüber, den Berg bezwungen zu haben.
- Ich genieße die Erhabenheit des Ausblicks, die Wahrnehmung von Gottes großartiger Schöpfung.
- Ich freue mich über die Einsamkeit.
- Ich freue mich über die Begegnung mit den Menschen, denen es genau so geht.
- Ich lasse den Alltag hinter mir.

In einem Wort: Frieden! Bei so einem Gang bin ich im Frieden mit mir und der Welt… ich komme zur Ruhe… ich habe keine Konflikte…

Äußerlich lasse ich die ganze Unruhe, den ganzen äußeren Unfug um Machtstreben, um Rechthaberei um Gewinnsucht, Übertrumpfen hinter mir. Das ganze Elend um Macht, Macht in der Politik, das mir jeden Tag durch die Medien aufgetischt wird, hinter mir… äußerlich: zur Zeit die Auflösung unserer Regierung mit allen Konflikten, die Unberechenbarkeit des neuen US-Amerikanischen Präsidenten, immer noch die unsäglichen Kriege, in der Ukraine – auf russischer Seite jetzt sogar mit nordkoreanischen Soldaten verstärkt –, im Libanon, im Gaza-Streifen und Israel… dieses ungute Wahljahr, das so tiefe Gräben auch hier Freiberg und Sachsen hinterlassen hat… die Verhärtung und Verrohung des gesellschaftlichen Miteinanders… innerlich: die Wahrnehmung von so vielen unzufriedenen Menschen, wütenden Menschen, Rechthabereien, Gewaltfantasien, Nachbarschaftsstreitigkeiten, Erbstreitigkeiten, Rosenkriege… und nach meiner Erfahrung doch oft sehr bestärkt durch unsoziale Netzwerke… 

So wie mir, ging es schon vor sehr langer Zeit dem Propheten Micha: auf der einen Seite die Sehnsucht nach Frieden, nach Frieden der sich auf einem Berg findet, ganz bei Gott, frei von den „ruchlosen Machenschaften der Oberschicht“ (Zapff) seiner Zeit. Menschen die sich in ihrer Gottesferne als Hüter von Recht und Ordnung aufspielten. Im heutigen Predigttext führt er den Menschen eine solche läuternde Gipfelerfahrung vor Augen. Und dabei zieht er aus dieser Erfahrung der Gipfelbegegnungen der Menschen und der Gottesbegegnung verschiedene Schlüsse. Hören Sie Micha 4:

Lesung Predigttext Micha 4, 1 - 5

Der Herr segne sein Wort an uns. Amen.

Liebe Gemeinde,

eine Gipfelerfahrung – ähnlich der meinen – auch bei Micha… der Weg auf einen Berg, weg aus dem Alltag, der Blick zu Gott und Menschen, die sich in dieser Erfahrung begegnen – aus allen Völkern und Religionen. Und außerdem noch das Haus des Herrn. Ein Gebäude, das diese Gotteserfahrung fokussiert, zusammenführt. Ein Gebäude mit Vorhöfen, einem Inneren, einem heiligen Ort, Gottes Wohnung. In diesem Ort der Freiheit nun, ein Ort der die Sinne Schärft, eine gewaltige Botschaft des Friedens.

Eine Botschaft, die vor mehr als 40 Jahren zum Erkennungszeichen der Friedensbewegung wurde. Der ehemalige Landesjugendpfarrer Harald Bretschneider ließ damals 120.000 Stoffaufnäher in Herrnhut drucken: die Mitte des bekannten Logos prägte die Eisengussfigur vor den Vereinten Nationen des Sowjetischen Künstlers Jewgeni Wiktorowitsch Wutschetitsch. Durch den Druck auf Stoff konnte Bretschneider die staatliche Genehmigung übergehen. Die Botschaft Michas – flankiert mit einem sowjetischen Friedensdenkmal – verbreitete sich im ganzen Land… provozierte und reizte staatliche Stellen bis hin zum Handlungsdilemma.

Und wie ist das heute? Irgendwie übt für mich dieses Logo und auch dieser Spruch des Micha nicht mehr diese besondere Ausstrahlung aus. Es hat die Aktualität der 80er Jahren verloren. Für mich steht dieses Logo für Vergangenes… ich erinnere mich an die Einweihung eines Erinnerungsdenkmals – unter Anwesenheit Bretschneiders – in Rosenthal vor einigen Jahren. Ja, ist denkwürdig historisch… aber ich glaube, dass die heutige Zeit völlig anders ist: heute gibt es keinen einseitigen ideologischen Gegner mehr. Mich berührt es oft peinlich, wenn ich merke, dass sich Menschen diese Gegnerschaft Wir-Staat, Kirche-Staat, Kapitalismus-Undirgendwasanderes geradezu herbeireden. Sie verrennen sich dabei – nach meinem Dafürhalten – in falsche ideologisierende Gegensätze. Aber das funktioniert heute nicht mehr… so sehr ich mir auch oft einfache Welterklärungsmuster wünschte, wie sie in den 80er Jahren vielleicht noch funktionierten…. (Und ohne dabei sagen zu wollen, dass es keine gesellschaftlichen Gegensätze, keine Ungerechtigkeiten mehr gäbe.) Die freiheitliche Gesellschaft, die Demokratie in der jedem Freiheit und Gleichheit zugestanden wird ist ein sehr hohe gut. Diese Gesellschaft ermöglicht uns freie Religionsausübung. Aber diese Freiheit steht heute mehr denn je unter Beschuss. Die Gegnerschaft in einer freiheitlichen Gesellschaft sehr viel komplexer geworden – und setzt ein hohes Maß an eigener Urteilskraft voraus. Die Bombardements gegen die Demokratie sind subtil geworden. Sie vollziehen sich still, manipulativ, im Netz, Cyberattacken, Konzerne, autokratische Staaten, Konzerne, die sich mit ebendiesen verbünden, im einen Moment im Osten, im anderen Moment im Westen und oftmals aber einfach nur knallharte Eigeninteressen verfolgen: Geld, Geld, Geld… Und oft profitieren wir doch selber durch unseren Wohlstand davon oder haben das Gefühl nichts von diesem Kuchen abzukriegen. Religion dabei inzwischen völlig egal geworden… oder Religion in radikaler Form nur zur Unterstützung der eigenen Machtinteresse missbrauchend, in einem rechtslosen Raum… 

Und dazu gesellt sich ja auch die bittere Erkenntnis: ja, Schwerter zu Pflugscharen hat eine massive Veränderung gebracht, damals… sicher zum Guten für viele unterdrückte Christinnen und Christen. Aber Hoffnungen von damals sind auch verloren gegangen. Erhofftes Glück gescheitert. Vieles ist besser geworden, anderes aber gar nicht… Oder: zu welchem Preis ist es besser geworden?... Die Frankfurter Philosophen Max Horkheimer und Theodor W. Adorno prägten für diesen Gegensatz schon in den 40er Jahren den Begriff der Dialektik der Aufklärung… eine bittere Erkenntnis einer Ausweglosigkeit unserer Zeit… Ist das so?

Schwerter zu Pflugscharen… nur noch historisierende Floskel? Ja… aber zugleich auch nein… denn Michas Botschaft ist so aktuell wie ehedem… gerade in dieser Zeit der Konflikte, Unsicherheiten und Krisen. Denn Micha bietet uns hier ein Bild an, das unserem Ausgeliefertsein in dieser Zeit etwas entgegensetzt (die Folgen, die ich vorhin erwähnte):

- Es ist der je zweite Teil des Satzes: „Pflugscharen“ und „Sicheln“. Es geht nicht nur einfach um abstrakten Frieden. Diese Bilder stehen für mich für die Arbeit mit den eigenen Händen. Arbeit, die dem Frieden dient, beruflich, ehrenamtlich, in unserer Familie. Ganz konkret: in Freiberg, in unserer Stadt, in unseren Lebensvollzügen, in unserer Kirche. Micha verwendet zwei schöne Bilder: „Ein jeder wird unter seinem Weinstock und Feigenbaum wohnen, und niemand wird sie schrecken.“ Er fordert uns auf, selber den Frieden in unserer Gesellschaft zu leben. Für mich heißt das aber auch: Friedensstifter sein, wo es geht im Kleinen. D.h. genau in diesen Arbeitsvollzügen, in der Familie, in der Schule, am Arbeitsplatz, an der Uni, in meiner Verwandtschaft. Immer wieder darauf hinweisen: keine Gewalt, im Gespräch, mit Gesten den Frieden suchen… unser demokratisches Miteinander – wofür für mich das Bild des Gottesberges auch steht – stärken.

- Dann ist da ja immer noch der Berggipfel meiner Wanderung. Da sind die Momente, in denen wir uns dem Wahnsinn unserer gewaltsamen, gewaltlechzenden Welt entziehen: der Gottesberg. Der Ort an dem wir Menschen wie unsersgleichen suchen und finden. Frieden, mit Gott sein, auf die Harmonie dieser Welt lauschen und den Bösewichtern trotzen. Frieden suchen. Die Gedanken mit der Welt und dem Nächsten versöhnen.

Denn der Gottesberg ist natürlich bis heute nicht erhöht, wie es sich schon Micha wünschte. Die Kämpfe um das Land der „Weinberge“ und „Feigenbäume“ zeigen so erschütternd, wie weit dies gesellschaftliche Realität vom Sehnsuchtsort einer friedlichen Gottesbegegnung der Völker entfernt ist.

- Und zuletzt ist da der, von dem das alles kommt: Gott. Nicht ich schaffe mir den Frieden. Der Frieden kommt nicht von mir. Der Frieden ist einer, den uns Gott verheißt… Er verweist die mächtigen Nationen darauf, dass Sie mit Krieg im Irrtum liegen und dafür zur Rechenschaft gezogen werden: „Er wird unter vielen Völkern richten und mächtige Nationen zurechtweisen in fernen Landen.“ – so der Prophet. Wir können die Welt hier nicht mit einem Fingerschnippen zum Guten wenden. Aber Micha gibt den Menschen trotzdem einen orientierenden Satz mit auf den Weg: „Kommt, lasst uns hinauf zum Berge des HERRN gehen und zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir in seinen Pfaden wandeln!“ Für mich ist da zentral die „Lehre seiner Wege“ – und das heißt: auf Gott vertrauen, in Demut auf seinen Willen lauschen und ihm folgen, beten!

Und der Friede Gottes welcher Höher ist als alle Vernunft bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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