20.11.2023
zu Matthäus 5, 1 - 10; gehalten von Dompfarrer Dr. Gunnar Wiegand
Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde,
Sie sind hier – ich freue mich darüber. Ich werde heute endlich als Dompfarrer eingeführt… Sie sind aus ganz unterschiedlichen Richtungen, mit ganz unterschiedlichen Motiven hier her gekommen… Neugierde auf den neuen Pfarrer, … wie ist der so drauf? …vielleicht aus Verbundenheit, aus Freundschaft zu mir … vielleicht, weil es sich so gehört… oder ganz einfach, um Gottesdienst an diesem Reformationsfest zu feiern… die Bibel zu hören, gemeinsam Musik zu machen, mit Jesus in unserer Mitte zu feiern.
Wie auch immer: ich freue mich über jede und jeden von Ihnen! Und ich freue mich auf alle künftigen Begegnungen mit Ihnen. Ich brenne innerlich richtig, hier zu arbeiten. Und nun gemeinsam mit Ihnen in der Kirchgemeinde am Dom und im Kirchgemeindebund Freiberg einen gemeinsamen Weg zu gehen.
Was uns darüber hinaus heute in dieser Stunde in jedem Fall alle vereint, ist dieser herrliche Kirchenraum des Freiberger Doms! … da sind die Silbermann-Orgeln, die Gräber der Kurfürsten, die Goldene Pforte, die Tulpenkanzel … und zuletzt ist da aber vor allem dieses herrliche Kirchenschiff mit seinen beiden Nebenschiffen und den Emporen… egal ob sie diesen Dom schon gut kennen, oder ob sie vielleicht heute zum ersten Mal hier sind: diese hochstrebenden gotischen Pfeiler dürften niemanden unberührt lassen. Das ist doch erhaben!
Und nun das heutige Evangelium: die Seligpreisungen – wir haben sie gerade vielstimmig gehört. Sie ordnen sich wie ein solch gotisches Gewölbe: Das Wort „Selig“ bildet den zentralen Schlussstein, rechts und links davon reihen sich je vier Steine mit einer Seligpreisung. Der jeweils vierte und letzte Stein, das Widerlager, das den Druck abfängt, bildet gleichsam das Wort Gerechtigkeit. Ja, die Seligpreisungen sind wie ein gotisches Portal: Einerseits im Aufbau mit ihrer eigenartigen Poesie, andererseits aber auch als Eröffnung der Rede Jesu auf dem Berg. Jesus auf dem Berg und Moses einst auf dem Berg Sinai, wo er Gottes Gebote empfängt – eine klare Parallele. In anderen Worten: die Seligpreisungen eröffnen diese wichtige Lehrrede, sind aber selber schon ein zentraler Bestandteil dieser Rede. In ihrer eigenartig-kunstvollen Gestaltung rufen sie förmlich: Achtung, jetzt wird’s wichtig! Und in dieses gleichsam gotische Portal treten wir nun gedanklich ein. Und da ich mich in meiner Predigt beschränken sollte, greife ich die dritte und die erste Seligpreisung heraus.
I. Die dritte Seligpreisung.
Ich bin froh, dass ich jetzt wieder Pfarrer einer Gemeinde bin… weil mir Gemeinschaft wichtig ist. Ich erinnere mich an den tollen Abend mit dem gemeinsamen Bibelkreis und dem Frauenkreis, wo wir schon intensiv über die Seligpreisungen nachgedacht haben. Diese Gedanken haben mich weiter beschäftigt. Und ich erinnere mich an die treffende Beobachtung zu Jesu Satz: Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen. … Herr Pfarrer, ist da wirklich die Erde gemeint? Aber wie ist denn das? Es sind doch meistens gar nicht die Sanftmüftigen, die die Erde regieren oder besitzen… sofort sind mir die Bilder des Terrors der Hamas vor Augen gekommen, die Reaktion Israels oder die russische Besetzung der östlichen Regionen der Ukraine… von den vielen anderen Konflikten auf der Erde ganz abgesehen.
Ich weiß nicht, wie es Jesus gemeint hat… ich nehme diese Spannung wahr, denke mir dann – Sanftmut, ja das steht dem Streben nach Geltung oder Macht so entgegen. Für mich klingt das hier wie ein Ideal, das Jesus von uns einfordert, ja, das wir in der Welt immer wieder einfordern müssen. Luther hat es in seinem Bibelkommentar treffend so formuliert: Die Welt vermeint die Erde zu besitzen und das ihre zu schätzen, wenn sie Gewalt übt. Aber Christus lehrt, dass man die Erde sanftmütig, ohne Gewalt behalte.
Ich habe verschiedene Gespräche vor Augen, in denen mir Menschen erzählt haben, wie sie mächtige Menschen ertragen mussten oder immer noch müssen… und dabei meine ich nicht nur Christen, die vielleicht in DDR-Zeiten staatlichen Einschränkungen ausgesetzt waren. Nein, Macht, Mächten sind wir in vielen Zusammenhängen immer ausgesetzt… im Beruf, in der Familie, in behördlichen Zusammenhängen. Mit Erschütterung habe ich den Tod unseres Bürgermeisters in Großschirma, Volkmar Schreiter, erfahren. Wie unbarmherzig und widerlich sind doch manche Menschen im Umgang miteinander. Und gerade, weil wir immer in Machtverhältnisse eingebunden sind, will uns Jesus Mut machen: aber sanften Mut. Mit Mut zurückhaltend die eigene Haltung einbringen. Den Mächtigen mit Mut begegnen. Ich stelle mir das so vor, wie auf einem Plakat der Diakonie mit dem Titel „Trau dich“ (ich musste jedes Mal lachen, wenn ich in Pirna in die Suptur gegangen bin und dabei an der Familienberatung der Diakonie vorbeigegangen bin. Dort hing dieses Plakat): da steht ein großer Fuchs mit scharfen Zähnen und Messer und Gabel bewaffnet einer kleinen weißen Gans gegenüber – er will die Gans aufessen… die Gans schnappt den Fuchs in die Schnauze und verhindert, dass er sein Maul aufreißen kann. Seid so, wie diese kleine Gans….
Oder ein anderer Gedanke, der in unserer Frauen-Bibel-Kreis-Runde geäußert wurde: was heißt es denn z. B. mit sanftem Mut, die Erde im ganz wörtlichen Sinn, zu besitzen? Was heißt das in Hinblick auf Nachhaltigkeit und die Bewahrung der Schöpfung? … die Fragen waren Thema in den diesjährigen Kreuzganggesprächen. Ganz beeindruckt und konkret habe ich am letzten Samstag gesehen, wie ein Landwirt (aktiv in der Kirchgemeinde) im Bobritzschtal mit ganz viel Energie und finanziellem Einsatz Hecken pflanzt und pflegt. Sie fördern das Ökosystem und er meint, dass die Hecken auch die Qualität der Ackerpflanzen zum positiven beeinflussen. Was für ein Mut, hier neue Wege zu gehen.
Ich habe zu dieser Seligpreisung abschließend einen Wunsch: Gemeinschaft ist mir wichtig – ich sagte es vorhin. Aber mir ist auch wichtig, dass diese Gemeinschaft von Sanftmut im Umgang miteinander geprägt ist. Keine Machtspielchen, keine Besserwisserei, keine Überheblichkeit, kein Richten über andere. Dafür wünsche ich mir viele lebendige, fröhliche Gemeindekreise in allen Altersgruppen. Geduld miteinander, einmal das einfache Untervieraugengespräch, wenn es irgendwo nicht so läuft, wie ich mir das im ersten Moment vorstelle. Gegenseitigen Respekt, Zusammenhalt (auch bei Differenzen) – Sanftmut… damit wir am Ende sagen können: ja, im Miteinander ist es hier bei uns am Dom, in Kleinwaltersdorf in unseren Orten anders als anderswo, anders als in dieser manchmal gnadenlosen Wirklichkeit da draußen! So können wir gemeinschaftlich etwas ganz großartiges für Freiberg bewirken und Zeichen setzen.
II. Die erste Seligpreisung
Und nun noch zu einer zweiten Seligpreisung, die uns in der Gemeinschaft bewegt hat. Es ist der erste Satz von Jesus. Ich lese ihn noch einmal in der Fassung der Einheitsübersetzung, damit meine Ausführungen verständlicher werden: Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich.
Aus dieser Übersetzung wird deutlich, was eigentlich gemeint ist: niemand kann sich Verdienste vor Gott erwerben. Wir können nicht durch Werke, durch Geld, Tätigkeiten für Gott etwas leisten. Wenn wir glauben, also im übertragenen Sinn „arm“ sind vor Gott, ist das Himmelreich für uns bereitet. Im Gemeindekreis mussten wir kurz lachen über Luthers Übersetzung. Dort steht: Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich. Und dann war die Frage: also ist für die Pfarrer, also die Geistlichen, das Himmelreich nicht bereitet? Das ist natürlich nicht so zu verstehen, aber ich könnte mir durchaus vorstellen, dass Luther bei seiner Übersetzung vielleicht sogar die Geistlichkeit seiner Zeit auch vor Augen hatte… ein kleiner Seitenhieb auf die kurz zuvor vollzogene Reichsacht zu Worms. In anderen Worten: Liebe Geistliche, passt besonders ihr auf, dass ihr euch keinen Verdienst vor Gott durch eurer Handeln erwerben wollt.
Nun steht da aber auch schlichtweg das Wort „arm“. Und da schwingt bei mir neben der Armut vor Gott, die Armut im ganz existentiellen Sinn mit. Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich. Wenn ich an Armut denke, dann habe ich zwei Gedanken:
1. Zuerst sind da vor meinem inneren Auge die vielen armen Menschen dieser Welt, ganz besonders die, die zu Flucht gezwungen sind oder gar vertrieben sind. Die Menschen, die unverschuldet ihrer Existenz beraubt sind, die Menschen, die auf Grund unsers überbordenden westlichen Wohlstands keine Lebensgrundlagen mehr haben können, die unter Naturkatastrophen oder Dürren leiden. Wenn ich Jesu Satz lese, dann bin ich sicher, dass auch diesen Menschen im Reich Gottes das gegeben wird, was ihnen hier in der Welt versagt bleibt. Und ich weiß, dass Gott auf ihrer Seite ist. Wenn fremde Menschen zu uns kommen, machen die das nicht einfach so… und dann weiß ich natürlich, dass Fremdes in uns Ängste weckt… aber diese Ängste sind unbegründet. Jesus hat besonders diese Menschen vor Augen.
2. Ich weiß, dass Menschen – auch wenn sie es vielleicht aus Stolz – nicht zugeben würden, Angst vor Armut haben, oder sogar arm sind nach den Maßstäben unserer Leistungs- und Wohlstandsgesellschaft. Wer sich nun irgendwie angesprochen fühlt: Gott kennt Deine Not. Du musst Dich nicht für Deine Armut schämen. Dir ist das Himmelreich verheißen.
Und das heißt für alle anderen, die sich nun nicht existentiell angesprochen fühlen: Du kannst Dich nicht zurücklehnen, Du hast Verantwortung für diejenigen, denen es nicht so gut geht.
Damit komme ich zu einem letzten Gedanken: Wir müssen dringend in den nächsten Jahren diesen wunderbaren Dom sanieren. Wir haben schon einen Schaden an einem Fenster im Couronnement. Am Eingang haben Sie das Gerüst gesehen – ein schlimmer Wasserschaden oberhalb der Silbermannorgel. Salze zersetzen die Pfeiler und Wände, die Goldene Pforte. Wir haben Schäden in der Krone, im Dach, im Turm, die Kunstgüter müssen aufbereitet werden… all das zeugt von einstigem Reichtum. Freiberg war nach Leipzig die zweitgrößte sächsische Stadt und gesegnet vom Silberbergbau. Aber dieser einstige Reichtum entspricht nicht im Mindesten dem Vermögen unserer Kirchgemeinde… wir brauchen dringend Geld und Spenden. Wir brauchen diesen heiligen Ort der Versammlung, wo wir Gottes Wort hören und sein Sakrament empfangen. Bitte spenden Sie großzügig am Ausgang.
Sie haben es sicher gemerkt: wie passt nun Jesu Wort für die Armen mit einer Domsanierung zusammen, die viel Geld kostet? Ich kann diese Spannung ehrlich gesagt nicht wirklich auflösen. Wir brauchen als Gemeinde einfach diesen Ort, damit wir uns versammeln können. Aber wir dürfen bei allen Notwendigkeiten und Fragen der Sanierung niemals Jesu Anspruch im ersten Satz der Seligpreisungen vergessen: Armut vor Gott öffnet das Himmelreich – nicht irdischer Prunk!
Wir wären eine unglaubwürdige und tote Gemeinschaft, wenn wir uns der Armut der Menschen, der armen Menschen nicht annehmen würden.
Im Anschluss an den Gottesdienst durchschreiten Sie alle die gotischen Portale und werden den Dom verlassen. Das geistige Portal der Seligpreisungen behalten Sie bei sich. Sie haben es nun gedanklich durchquert. Bleiben Sie dran: Selig sind die Sanftmütigen und selig, wer arm ist vor Gott.
Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
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