Predigt zum 1. Sonntag nach Epiphanias, 12. Januar 2025

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Predigt zum 1. Sonntag nach Epiphanias, 12. Januar 2025

12.01.2025

über Josua 3,5-11.17 (Lut17); gehalten in der Annenkapelle des Doms zu Freiberg von Dompfarrer Dr. Gunnar Wiegand

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen

Lasst uns in der Stille beten…

Der Herr segne sein Wort an uns.

Verlesung des Predigttextes: Josua 3,5-11.17 (Lut2017)

Liebe Gemeinde,

wer in diesen Tagen in Bad Schandau oder an der östlichen Dresdener Altstadt die Elbe mit dem Auto überqueren will, kommt nicht hinüber. Die dortigen Brücken sind nicht passierbar – zum Leidwesen vieler betroffener Pendler. Und es wird auch deutlich: Bäche oder Flüsse kennzeichnen schon immer Grenzen. In diesem Fall die Elbe. Durch einen Fluss gibt es eine natürliche Markierung in der Landschaft: hier geht es nicht weiter, hier gibt es erst einmal kein Hinüberkommen. Ganz deutlich kann man solche Grenzläufe erkennen am Rhein oder der Donau. Sie waren zur Zeit der Römer die Grenzverläufe des römischen Reiches – noch heute gelten z.B. die Kölner, die rechts des Rheins leben den linksrheinischen Bewohnern als „Schäl Sick“, also die Bewohner der „falschen Seite“, Barbaren – wie ich in meiner Zeit an der dortigen Uni gelernt hatte. Aber auch in neuerer Zeit werden immer wieder Flüsse zu Grenzmarkierungen erhoben. Erinnern Sie sich an bestimmte Grenzverläufe der Berliner Mauer entlang der Spree oder der Havel? Oder eine ganz bekannte Grenze ist die Oder-Neiße-Grenze. Sie teilt seit nunmehr rund 75 Jahren Polen von Deutschland – ich konnte diesen Grenzverlauf an zwei Punkten überschreiten: auf der Fußgängerbrücke in Görlitz und in Frankfurt an der Oder, hier sind ja sogar die Städte in einen polnischen und einen deutschen Teil getrennt.

Auch der Jordan ist seit alters her ein solcher Grenzverlauf. Heute teilt er Israel und Palästina von Jordanien. In Biblischer Zeit trennte der Jordan das Gebiet des Herodes Antipas von der römischen Provinz Judäa und zur Zeit Josuas das Lagergebiet der Israeliten vom Gebiet der Kanaaniter.

Gott hatte den Israeliten das fruchtbare Land der Kanaaniter als zukünftige Heimat nach dem Auszug aus Ägypten versprochen. Das Volk Israel hatte viel Mühe auf sich genommen auf der Flucht aus Ägypten über die Halbinsel Sinai. Motiviert hat sie immer wieder die Aussicht auf paradiesische Zustände. Mose hatte - durch Gott eingegeben - verheißen, dass dort Milch und Honig flössen. Auf dem Berg Sinai haben sie schließlich die Gesetze erhalten und zur Aufbewahrung in die Bundeslade gelegt. Die Israeliten waren bis zum Grenzübergang an den Jordan gezogen, Mose war verstorben und hatte Josua die Führerschaft über das Volk anvertraut. Nun sollten sie über die Grenze schreiten – den Fluss Jordan. Doch was tun? Brücken, wie zwischen Dresden Altstadt und Dresden Neustadt, oder in Köln oder in Görlitz oder Frankfurt an der Oder gab es nicht. Es ging nicht mehr weiter. Da erteilte Gott über Josua die praktischen Anweisungen: Priester, hebt die Bundeslade auf und geht vor dem Volk her. Wenn ihr an das Wasser des Jordans herankommt, so bleibt im Jordan stehen. Durch die Lade wurde auf wundersame Weise das Wasser zum Stehen gebracht. Das Volk konnte – ähnlich schon bei Mose am Schilfmeer – den Jordan unbeschadet durchschreiten. Soweit die biblische Erzählung.

Doch was bedeutet das für unser Leben hier in der Gemeinde oder uns ganz persönlich? Wenn wir Grenzen überschreiten, dann verändert das unseren Erfahrungshorizont. Ich erinnere mich als ich noch ein kleines Kind war. Immer wenn wir in den Urlaub nach Italien gefahren sind, war ich ganz aufgeregt, als wir eine Ländergrenze erreicht haben. Da gab es die Grenzkontrollen der Polizei, die fremde Sprache, die veränderten wunderschönen Landschaft – erst die Alpen und Österreich, dann ab dem Gardasee eröffnete sich langsam die Po-Ebene. Wie schön war es doch, wenn wir im mediterranen Klima an unsere Ferienwohnung oder unseren Campingplatz in der Toskana. Wie großartig die schönen Städte Florenz, Siena, Pisa, Volterra, die tollen Sandstrände. Die Kehrseite: regelmäßig wurde ich reisekrank. Dann konnte ich auf den Touren durch die Region gar nicht mit oder es war eine echte Qual. Einmal versagte der Kühler unseres Autos – es war in den 80erjahren schwierig in Italien Ersatz für einen Volvo-Kühler zu erhalten, wir mussten kleine Löcher mit Kaugummis zukleben. Und dann erinnere ich mich, dass auch einmal unser Auto aufgebrochen wurde, das Handschuhfach ausgeräumt – es gab nichts zum Stehlen. Aber der Schaden war halt da.

An dem Reisebeispiel wird deutlich: Grenzüberschreitungen haben immer zwei Seiten: zum einen das Faszinierende, das Neue, Schöne, die Horizonterweiterung, zum anderen aber auch die Widrigkeiten, die Sprach- und Mentalitätsbarrieren. Oder ein anderes Beispiel: hätte ich einst nicht die Grenze zwischen Bayern und Sachsen überquert, dann hätte ich meine Frau nicht kennen gelernt. Auch wenn es wunderbar hier in Freiberg ist, so ist jedoch der Preis dafür der Verlust meiner Heimat Oberbayern – die ich immer noch sehr liebe. Wie war das in ihrem Leben mit Urlaubserfahrungen, längeren Auslandserfahrungen, oder gar mit Grenzüberschreitungen?

Grenzen überschreiten können wir aber auch im übertragenen Sinn. Und auch hier gibt es die zwei Seiten. Eines der für mich erschütterndsten Bücher, die ich in meiner Jugend gelesen habe war die Dialektik der Aufklärung von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer von 1944. Im Zentrum des Buchs die zerstörerische instrumentelle Vernunft und ihre Doppelbödigkeit: Fortschritt geht immer einher mit einer negativen, zerstörerischen Seite. Das ist ein Dilemma, dem nicht zu entkommen ist.

Denken Sie an Nutzen und Problematik von Erfindungen. Robert Oppenheimer – einer der Ingenieure der Atombombe – äußerte sich einst zu seiner Erfindung: „Die Atombombe hat die Vorstellung künftiger Kriege unerträglich gemacht. Sie hat uns diese letzten paar Schritte zu einer Grenze geführt, hinter der völlig unbekanntes Land liegt.“ Auch er verwendet das Bild der Grenze. Auf der einen Seite steht die Atomkraft mit ihrer friedlichen Nutzung zur Energiegewinnung auf der anderen Seite aber auch die enorme Zerstörungskraft der Umwelt, wenn die Technologie aus den Fugen gerät.

Ein anderes Beispiel, das mich sehr bewegt, ist die Nutzung von Social-Media-Plattformen. Sie bringen Leute zusammen, stiften Gemeinschaft… in Reels und Videos kann ich wunderbar meinen Alltag oder mein Können darstellen, ja sogar eigene Kunst schaffen… dann aber sind da auch die negativen Seiten: überhöhte Selbstdarstellung, Jugendliche, die an den sozialen Medien zerbrechen oder in Abhängigkeit geraten – wie bei Drogen. Dann die Manipulation über Künstliche Intelligenz, oder bewusst gesteuert… mit großer Sorge habe ich diese Woche gelesen: Marc Zuckerberg will die Faktenchecks auf den Plattformen von Meta einzustellen. Bei X ist das schon längst Praxis. Leichtgläubige können nicht mehr zwischen Fiktion und Realität unterscheiden, werden manipuliert und so zu Opfern der Interessen von Großkonzernen. Und das Meiste bleibt eben auch nur oberflächlich, der Schein des Selbst.

Fortschritt im positiven und konstruktiven Sinn geht immer einher mit einer negativen, destruktiven Seite.

Wenn wir Grenzen überschreiten, dann verändert sich etwas.

Im Evangelium haben wir gehört, wie sich selbst Jesus als Gottes Sohn von Johannes taufen lies... im selben Fluss, in dem das Volk Israel die Grenze überschritten hat. Die Taufe ist das eine Zeichen des neuen Bundes. In der Taufe hat sich uns Gott für seine Kirche erwählt. An diese Erwählung können wir uns immer erinnern. Hieran können wir immer unser Leben ausrichten – so wie Josua und seine Gefolgschaft der Stimme Gottes, ihrer Erwählung gefolgt waren.

Wir können Grenzen überschreiten, mit den Geboten Gottes auf dem Rücken – wie einst die Priester die Bundeslade – oder in unseren Herzen oder wir ignorieren sie... werden von den Wasserwogen des Jordans weggespült. Tragen wir sie mit uns, dann ist das kein Garant dafür, dass immer alles Gut ist… denn der instrumentellen Vernunft ist in unserer Welt nicht zu entkommen. Aber wir haben die Gewissheit, dass da noch etwas anderes ist: Gott…. Der alte Mythos, die alte unverfügbare Realität außerhalb des Subjekts. Da gibt es Maßstäbe an denen wir unser Handeln ausrichten können: die Gebote und das Evangelium unseres Herrn Jesus Christus.

Wir können der Dialektik der Aufklärung nicht entkommen. Aber wir können dem modernen Mythos etwas entgegensetzen, die Dialektik durchbrechen.

- Mit Jesus Christus im Herzen sind wir zum friedlichen Einsatz unserer Technik verpflichtet – um ein Beispiel zu nennen.

- Mit Christus im Herzen könnte es vielleicht einfacher sein, der Manipulation der Konzerne zu widerstehen, ja Christus selbst in den Mittelpunkt unserer Posts und Tweets und Reels zu stellen.

- Wenn wir mit Christus auf dem Rücken oder im Herzen Grenzen überschreiten, dann wird uns Gott das gelobte Land sehen lassen – so die Botschaft dieser Josua-Geschichte.

Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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