03.11.2024
über Josua 24, 14 - 19 (Lut 17); gehalten im Dom zu Freiberg von Dompfarrer Dr. Gunnar Wiegand
Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen. Stille… Der Herr ist meines Fußes Leuchte…
Liebe Gemeinde,
heute ist Kirchweih. Kirchweih ist ja ein besonderes, einmaliges Fest im Jahr – die Gemeinde erinnert daran, dass die Kirche vor vielen Jahrhunderten geweiht wurde… auch wenn sich der genaue Termin hier im Dom im Dunklen der Geschichte verliert.
In meinen ehemaligen Dorfgemeinden, v. a. in Langenleuba-Oberhain (zwischen Rochlitz und Altenburg gelegen) war Kirchweih einer der Höhepunkte des Kirchenjahrs. Vor allem die älteren Gemeindemitglieder erinnerten sich, dass noch bis in die 50er Jahre zur Kirchweih das ganze Dorf gefeiert hat: da gab es – natürlich neben dem gemeinsamen Gottesdienst – Essen und Trinken, Buden und Karusselle. Der Termin war auch ganz wichtig, damit die Schausteller, alle Wochenenden in den verschiedenen Dörfern gastieren konnten (Sie merken, dass der Termin gar nicht an den ursprünglichen Weihetermin gebunden ist). Und noch heute wird das Kirchweihfest bei Familien – vor allem bei den Bauersleuten – in den Häusern und Höfen privat gefeiert. Da kommt die ganze Familie zusammen und isst gemeinsam – erinnert sich an die zurückliegenden Dinge. Das alles erinnert mich auch sehr an meine Oberbayerische Heimat in Pfaffenhofen, wo zu Kirchweih in den Familien die sogenannten Kirchweihnudeln – ein Schmalzgebäck – gebacken und zum Kaffeetrinken gegessen werden. Kennen Sie hier in der Freiberger Region ein Brauchtum um das Kirchweihfest?
Im Ursprung geht es bei der Kirchweih ja um die Erinnerung, dass das Kirchengebäude Gott geweiht ist. Es ist ein besonderer Ort in der Stadt. Meist liegt er erhöht, gut einzusehen in der schönsten Lage – ja man könnte sagen: ein heiliger Ort, ein Ort an dem man Gott gefühlt näher ist als in den Wirren der Alltagszusammenhänge. Ich finde hier bei uns im Dom ganz besonders, weil wir die Grablege der Kurfürsten beherbergen. Der Dom, gut sichtbar vom Alten Untermarkt aus.
Diese Bedeutung scheint mir heute nicht mehr ganz so zentral zu sein: Kirche verstehen wir ja heute mehr als die Gemeinschaft der Versammelten der Getauften und Gläubigen, so wie wir es im Glaubensbekenntnis zum Ausdruck bringen: „Ich glaube an die Heilige Christliche Kirche, Gemeinschaft der Heiligen“.
Dennoch braucht es – denke ich – immer beide Seiten: natürlich in erster Linie die Gläubigen, die sich versammeln. In zweiter Linie aber auch den besonderen Ort, an dem wir uns versammeln. Bei uns ist das in der Regel das Kirchengebäude.
So wie das bei uns heute ist, war das auch schon vor langer Zeit. Nachdem das Volk Israel aus Ägypten von Mose und Aaron, Josua und Eleasar ins gelobte Land geführt worden war, kam es zusammen. Am sogenannten Landtag zu Sichem erinnerten sich die zwölf Stämme Israels an die Mühen und Kämpfe des zurückliegenden Weges: die Sklaverei in Ägypten, die Flucht vor dem ägyptischen Heer, die Durchquerung von Wasser und Wüste, Hunger, Durst, der Erhalt der Gesetzestafeln und der Treuebruch am goldenen Kalb, die vielen Kämpfe mit verschiedenen Völkern, zuletzt die Eroberung Kanaans – und immer wieder die Hilfe und Zuwendung durch Gott den HERRN. Zudem sollte darüber beraten werden, wie es nun weitergehen würde. Sichem war der Ort, an dem seit Langem der von Abraham gebaute Altar stand – ein Ort der Erinnerung an die Zeit der Väter, ein Heiliger Ort Gottes des HERRN. (Sichem liegt rund 60km nördlich von Jerusalem zwischen den Bergen Ebal und Garizim. Die moderne palästinensische Stadt heißt heute Nablus).
Wie war das in Ihrem Leben mit Kämpfen, Mühen, Hunger, Durst, fremden Göttern? Aus welchem Grund sind Sie heute hierhergekommen? Die Treue zu Gott? Der besondere Ort? Die Würdigung ihrer zurückliegenden Leistungen?
Vergegenwärtigen wir uns nun eine kurze Szene aus dem Landtag zu Sichem, in dem Josua vor das Volk getreten war und spricht (sie ist der Predigttext des heutigen Sonntags):
Lesung des Predigttextes Josua 24, 14 - 19
Wie geht es Ihnen mit diesem Ausschnitt aus der Landtagsszene? Ich muss gestehen, dass ich im ersten Moment ein ungutes Gefühl in mir hatte. Da fängt der Josua an und hält mir ein Gebot vor: Fürchte den Herrn, diene ihm treulich usw. Ich weiß nicht, wie das bei Ihnen ist, aber wenn zu mir jemand kommt und mich praktisch mit einem Befehl begrüßt, dann gehe ich erst einmal auf Abstand. Was soll denn das? Muss ich mir das auf der Höhe meines Lebens gefallen lassen, wie ein Schulkind vorgeführt zu werden? Ja, im Inneren ist da Wut und Ärger.
Nun geht es weiter und es wird etwas eigenartig. Nach dem Gebot stellt Josua die Versammlung der Stämme vor eine Entscheidung: wenn es euch nicht passt, dem HERRN zu dienen – sie hatten noch gar keine Möglichkeit der Reaktion –, dann wählt, ob ihr den Göttern des Zweistromlandes oder den Göttern der Amoriter dienen wollt. Damit sind jeweils heidnische Gottheiten gemeint.
Diese zwei Alternativen zum Bekenntnis des HERRN werden aber sofort durch seinen nächsten Satz relativiert. Er bekennt: „Ich aber und mein Haus wollen dem HERRN dienen.“ Er will das Volk also – wie schon durch das Gebot deutlich – durch sein Vorbild als geistlicher Führer für Gott den HERRN gewinnen. Prompt lässt sich das Volk von Josua überzeugen und bekennt sich zu Gott dem HERRN. Dankbar erinnert sich das Volk daran, dass es von Gott auf dem langen Weg begleitet und beschützt wurde.
Und dann zuletzt Josua deutliches Wort: Ja es ist zwar schön, dass ihr Gott dem HERRN dienen wollt, aber im Grunde genommen könnt ihr das gar nicht. Moment, ihr könnt diesem HERRN gegenüber nichts tun. Er erwählt sich euch zum Heil.
Dieses letzte Wort des Josua scheint mir ein Schlüssel zu sein, um den brüsken Anfang des Gebotes zu verstehen, ja eigentlich den ganzen Argumentationsgang des Geschichtsschreibers. Josua will nichts anderes sagen, als dass allein der HERR Gott ist. Der HERR ist souverän, ihm können wir uns nicht anbiedern. Josuas Wort ist im Grunde genommen nichts anderes als die Wiederholung des ersten Gebots: Ich bin der Herr Dein Gott, Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. Es geht im ersten Satz Josua nicht darum, die Menschen zu überzeugen, sondern das Bekenntnis zu Gott dem HERRN an den Anfang zu stellen. Überzeugen kann Josua die Menschen nur durch sein persönliches Vorbild, das sich dem Gebot anschließt.
Mein größtes theologisches Vorbild war seit meiner frühen Jugendzeit Martin Luther. Und bis heute halte ich ihn in der Pointierung seiner theologischen Deutung der Bibel für unübertroffen. Aus seiner Auslegung des Ersten Gebots im großen Katechismus stammt der berühmte Satz: „Denn die zwei gehören zusammen, Glaube und Gott. Woran du nun, sage ich, dein Herz hängst und [worauf du dich] verlässest, das ist eigentlich dein Gott.“ Hierzu führt Luther weiter aus: „So heißt also eigentlich, auch nach aller Heiden Meinung; ‚einen Gott haben‘ soviel wie vertrauen und glauben.“ In anderen Worten: im Prinzip glaubt jeder Mensch irgendwas. „Der Fehler dieses Glaubens – so Luther weiter – liegt aber daran, dass ihr Vertrauen falsch und unrecht ist; denn es ist nicht auf den einzigen Gott gerichtet, außer dem es wahrhaftig keinen Gott gibt weder im Himmel noch auf Erden. Deshalb machen die Heiden eigentlich ihr selbsterdachtes Wahn- und Traumbild von Gott zum Abgott und verlassen sich aufs lautere Nichts.“ Für Luther sind die Heidnischen Gottheiten im Grunde genommen die Metaphern oder Trugbilder für die Wunschvorstellungen der Menschen: erotische Liebe, Krieg, magische Heilkraft, Naturgewalten usw. Luther spricht ausdrücklich von der Macht des Geldes, von der Macht des Wissens, der Wissenschaft, ja Ehre und Macht ganz allgemein. Scheinbar haben wir die Vielgötterei seit Jahrhunderten hinter uns gelassen. Folgen wir Luthers Auffassung, wird deutlich, dass wir, unser Volk, nach wie vor in vielerlei Hinsicht den Heidnischen Gottheiten – wie sie bereits Josua erwähnt – nachfolgen. Ich will damit ausdrücklich betonen, dass diese Dinge und Ideen nicht automatisch zu „Gottheiten“ werden, sondern dann, wenn wir uns von ihnen das Leben diktieren lassen, wir sie höher stellen als Gott den HERRN.
Aus dieser Betrachtung heraus will ich zwei Schlüsse ziehen:
1. Wer sich durch eigene Werke den Himmel verdienen und mit Gott ins Geschäft kommen will, macht aus Gott einen Götzen und sich selber zum Gott – so Luther. Wenn wir also Kirchweih feiern, dann geht es darum, dass wir Gott für seinen Schutz, seine Fürsorge, den Erhalt unserer Gemeinde, der Kirche danken. Damit geht einher, dass Gott verhalten mit unseren Forderungen umgeht. Josua sagt: Ihr seid nicht im Stande dem Herrn zu dienen. Luther formuliert das in der Freiheit eines Christenmenschen mit dem Wort: ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.
2. Wir haben durch unser Vorbild zu wirken – so wie es auch Josua getan hat und dadurch das Volk in Sichem von Gott dem HERRN überzeugt hat. Ich vermute, dass Sie, oder zumindest die meisten von Ihnen, bereits aus echtem Bekenntnis hierhergekommen sind. Ihnen ist diese Kirchgemeinde, ja dieses Kirchengebäude von Bedeutung. Sie tun damit schon etwas sehr wichtiges: sie Leben aktiv ihren Glauben an Gott den HERRN. Dies weiter auch im Alltag zu tun, dazu möchte ich Ihnen hier ausdrücklich Mut machen. Hieran schließt sich Luthers zweites Wort aus der Freiheit eines Christenmenschen – aus Freiheit den Glauben leben: Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan.
Einmal im Jahr versammeln wir uns zum Kirchweihfest. Wir erinnern dabei an unseren persönlichen Weg mit dieser Kirche in Höhen und Tiefen. Vielleicht feiern wir ein kleines Fest, vielleicht aber wollen wir uns auch nur an die schönen Feste erinnern, die einst zu Kirchweih gefeiert wurden. Wir kommen zusammen, um vor Gott zu bekennen: Ich aber und mein Haus wollen dem Herren dienen. Vielleicht könnte das Kirchweihfest auch eine Gelegenheit sein, dass die Gemeinde an die alten Traditionen anknüpft – natürlich unter anderen Voraussetzungen, im kleineren Rahmen. Vielleicht könnte dieses Kirchweihfest eine Gelegenheit sein, dass sich die Kirchengemeinde als Ganze die Fragen stellt:
- Was ist uns eigentlich wichtig an unserer Kirche?
- Was ist gut und erhaltenswert?
- Was könnte vielleicht grundlegend verändert werden?
- Was könnte neues geschaffen werden?
- Wie können wir dem Herren als Kirchgemeinde am Freiberger Dom dienen? – um die Worte Josuas aufzugreifen.
In letzter Hinsicht hat sich Gott diese Kirche seit Anbeginn der Zeiten auserwählt. Wir stehen unter seiner Gnade. Es geht um Gottes Willen, nicht um unsere Wünsche und Projektionen. Und so scheint mir das Wichtigste zu sein: Gott danken und auf Gottes Stimme hören. Luther sagt: Denn die zwei gehören zusammen, Glaube und Gott. Woran du nun, sage ich, dein Herz hängst und [worauf du dich] verlässest, das ist eigentlich dein Gott. Und dieser Gott ist der HERR, Vater, Sohn und Heiliger Geist. Amen.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
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