Predigt zum Vorletzten Sonntag des Kirchenjahrs, 17. November 2024

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Predigt zum Vorletzten Sonntag des Kirchenjahrs, 17. November 2024

17.11.2024

über Römer 14, 7 - 13 (BB); gehalten im Dom zu Freiberg von Dompfarrer Dr. Gunnar Wiegand

Lesung des Predigttextes = Epistellesung Römer 14, 7 - 13 (BB)

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen. Stille…

Liebe Gemeinde,

gestern war hier im Dom die Aufführung von Karl Jenkins „The armed Man Mass for Peace“. Ich bin noch heute sprachlos über diese großartige Musik und die Aufführung. Ja, es ist unter die Haut gegangen… hat mir gestern eine Zuhörerin nach dem Konzert gesagt. Und so gings mir auch.  

Um ehrlich zu sein, hatte ich diese Komposition – obwohl ich ja musikhistorisch durchaus bewandert bin – bisher nicht gekannt gehabt. Irgendwann habe ich erfahren, dass dieses Werk hier im Dom aufgeführt werden soll:

- Ich habe mir das Stück erst einmal angehört. Ich war von Anfang an begeistert. Mich erinnerte es in großen Teilen an Filmmusik mit Elementen klassischer Musik und Jazzmusik… in einem postmodernen Stilmix zusammengeführt. (Manchmal vielleicht ein bisschen zu dick aufgetragen)… aber jedenfalls abwechslungsreich und berührend. Besonders begeistert hat mich aber auch der Inhalt:

- Eine Messevertonung eines lebend Komponisten. Und die Frage: was hat dieser Mann in seiner Komposition heute daraus gemacht? So ein traditioneller Ankerpunkt. Die Form des vertonten Messordinariums hatte im 15. und 16. Jahrhundert seinen musikgeschichtlichen Höhepunkt…. (Messvertonungen sind ja mein Forschungsschwerpunkt). In Kenkins Werk bleiben die drei Teile Kyrie, Sanctus und Agnus Dei übrig.

- The armed Man, der bewaffnete Mann. Das alte französischsprachige Soldatenlied „L’Homme armé“ als Ausgangspunkt. Alle großen Komponisten der Francoflämischen Vokalpolyphonie haben eine Messe auf diese Melodie vertont: Antoine Brumel, Johannes Ockeghem, Josquin Desprez (Luthers Lieblingskomponist), Pierre Mouton, Jacob Obrecht, Loyset Compère, Johannes Tinctoris, Costanzo Festa, Francisco Guerrero oder Ludwig Senfl… wow! Und gleichzeitig kenne ich natürlich den martialischen Text. Schon das Konzil von Trient hatte in der katholischen Kirche den Einsatz weltlicher Melodien für Messen untersagt…. Aber wir sind ja nicht katholisch… und daher auch nicht an Konzilsweisungen gebunden: die inhaltliche Anfechtung aber bleibt natürlich!

- Und dann ein drittes, das mir aufgefallen war – Hr. Koch hatte mich auch offen darauf hingewiesen: da sind diverse Bekenntnistexte aus verschiedensten Religionen mit hineinkomponiert. Karl Jenkins Werk war eine Auftragskomposition eines Militärhistorischen Museums in London. Der Komponist widmete es den Opfern des Balkan-Kriegs in den 90er Jahren. Der Balkan, bekanntlich eine Region, die von einem Nebeneinander christlicher, muslimischer, politischer und nationaler Identitäten geprägt ist. Und ein Krieg in dem es zu schrecklichen Massakern kam: in Srebrenica oder Racak. Verwerfungen, die bis heute nachwirken. Mit diesem Werk, ein monumentales Zeichen des Friedens gesetzt… die verschiedenen religiösen Positionen am Beginn… der Wunsch nach Frieden am Ende… eine Hoffnungsbotschaft… eine Botschaft, bis heute von höchster Aktualität. Friede!

- Ich habe die Zielsetzung der Komposition schnell so verstanden: da steht die Brutalität menschlicher Gewalt am Anfang. Diese Gewalt instrumentalisiert die Religion, oder anders herum gesagt Religion äußert sich bisweilen über das Bekenntnis auf recht brutale Weise (und zwar jede Form funktionaler Religion). Aber Gottes Wille, Gottes letztes Ziel ist die Liebe und Friede als umfassendster Ausdruck der Liebe. Und diese beiden Seiten stehen ja immer im krassen Gegensatz, ja unversöhnlich nebeneinander. Jenkins führt das auf großartige Weise zunächst im Agnus Dei, dem großen Friedensruf des Altarsakraments zusammen und dann in fantastischen Textcollage des letzten Stücks Better is peace zusammen, eine Dichtung aus Versatzstücken der Offenbarung, Thomas Malorys und Alfred Lord Tennysons. Und dazwischen übrigens der anrührende Gesang auf ein Gedicht von Toge Sankichi, der infolge des Atombombenabwurfs auf Hiroschima an Leukämie verstarb.

- Erst im Lauf der Zeit wurde mir deutlich: die fremden, nichtchristlichen Bekenntnisse erregen bei manchen Leuten Anstoß. Ich konnte das erst nicht verstehen, weil ich mich gedanklich sehr auf die zentrale Botschaft und die großartige Musik fokussiert hatte. Als Hr. Koch mir von dem Stück erzählt hat, habe ich mich gefragt, was er eigentlich von mir will… „soll er es doch einfach aufführen“ – dachte ich. Ich habe erst eine gewisse Zeit gebraucht, bis ich aus den Diskussionen unter den Pfarrern oder im KV merkte: da werden bei manchen Menschen religiöse Ängste oder Befindlichkeiten geweckt. Und das, obwohl die fremden Bekenntnisse am Ende ja sozusagen der großen Botschaft der christlichen Messe untergeordnet werden: Liebe und Friede! Leider haben wohl einige Sänger dann nicht mitmachen wollen, um nicht – so meine Annahme – die fremden Bekenntnisse auszusprechen oder anzuhören… ja an diesen Bekenntnissen verkündigend mitzuwirken.

Bekenntnis zu Gott in seiner greif- und verstehbaren Form menschlicher Sprache ist da auf der einen Seite. Auf der anderen Seite aber das Wissen, dass Gott ja eigentlich unsagbar, unaussprechlich ist… denn so wird Gott auf menschliches Denken und Auffassen reduziert. Ein Konflikt ist angebahnt: Bekenntnis gegenüber Bekenntnisfreiheit (in Jenkins Werk sogar über die Religionen hinweg). Mit diesem Konflikt spielt der Komponist und konfrontiert Musizierende und Hörende damit. Und je nachdem: tendiere ich mehr zur einen Auffassung, reibe ich mich an diesen Texten, tendiere ich zur anderen Auffassung, werde ich mich schulterzuckend inspirieren lassen.

Dieser Konflikt aus Bekenntnis und freier Auffassung des Bekenntnis ist uralt. Diesen Konflikt gab es schon bei den ersten Christinnen und Christen. Dieser Konflikt ist sogar sehr gut in der Bibel dokumentiert. Er führt uns mitten in den Predigttext des heutigen Tages – wir haben ihn vorhin als Epistellesung gehört. Schon unsere Glaubensbrüder und Glaubensschwestern im alten Rom waren über die Frage eines fremden Bekenntnisses uneins, ja sogar zerstritten… (da ist dieser Konflikt eher harmlos dagegen): Der Konflikt war nicht über Bekenntnisse in einem Musikstück entbrannt sondern zur Frage des Fleischessens in der Gemeinde. Was darf man als Christ oder Christin essen? Die Einen, für die mit ihrer jüdischen Herkunft die Weisungen aus der Tora Gültigkeit hatte, aßen kein Schweinefleisch. Sie nahmen auch nur koschere Nahrung zu sich. Das bedeutete auch, dass Fleisch geschächtet sein musste und dafür strenge Vorschriften für das Schlachten der Tiere eingehalten werden mussten. Koscheres Fleisch: ein Bekenntnisgrundsatz. Für die anderen mit griechischem Hintergrund spielte das überhaupt keine Rolle mehr. Für sie war jede Art der Ernährung erlaubt… (eine andere Gemeinde, in Korinth, war sogar mit der Frage konfrontiert, ob man Heidnischen Göttern geopfertes Fleisch essen darf)… Sie merken grundlegende Bekenntnisfragen. Beim Essen und Trinken gehen sie an die Substanz, ja an unsere tiefsten Gewohnheiten und Familientraditionen (da wir normalerweise nicht Koscher essen, sehen Sie, dass wir uns hier in Freiberg in diesem Punkt schon sehr weit von der alten Bekenntnistradition entfernt haben – da denken wir gar nicht mehr nach… es sei denn wir geraten zufällig in ein jüdisches Restaurant oder bereisen Israel). Paulus entgegnet dem Konflikt in Rom mit wenigen Sätzen und folgender Argumentation:

- Als Menschen können wir von Gott nur in menschlichen Kategorien reden. Gott ist also immer irgendwie zu bekennen: mit Gewohnheiten, Essenstraditionen, Musik, Gottesdienstformen, bestimmten Sätzen, sprachlichen Konventionen (in unserer großartigen Kirche sind es die Evangelisch-Lutherischen Bekenntnisschriften). Paulus greift dabei auf Jesaja zurück und zitiert diesen Propheten: »›Bei meinem Leben‹, spricht der Herr: ›Vor mir wird jedes Knie sich beugen, und jede Zunge wird sich zu Gott bekennen.‹« Also: die Beziehung Mensch-Gott geht gar nicht ohne Bekenntnis.

- Und Paulus führt die Argumentation in zwei Gleisen fort:

1. Jeder bekennt Gott. Für sein Bekenntnis wird er vor Gott vor seinen Richter treten. In anderen Worten: jede und jeder soll seine eigene Auffassung zum Bekenntnis erst einmal behalten. Dann muss er oder Sie am Ende für das, was er bekannt oder gelebt hat, mit Gottes gerechtem Urteil rechnen.

2. Und gerade deswegen: „Lasst uns aufhören, uns gegenseitig zu verurteilen!“ Ja, jede und jeder hat eine bestimmte Glaubensüberzeugung und in verschiedenen Punkten weichen diese voneinander ab… aber das fordert zu gegenseitiger Rücksichtnahme auf – ohne gleich die eigene Überzeugung über den Haufen zu werfen. Gott kommt die Richterrolle zu und nicht uns Menschen.

- Und warum ist das so? Die Antwort darauf hatte Paulus bereits vorweggenommen. Unser Leben ist von dem einen Gott gegeben: „Keiner von uns lebt nur für sich selbst und keiner stirbt nur für sich selbst. Denn wenn wir leben, leben wir für den Herrn. Und wenn wir sterben, sterben wir für den Herrn. Ob wir nun leben oder ob wir sterben – immer gehören wir dem Herrn!“ In anderen Worten: Das Leben eines jeden Menschen ist von Gott. Diese Welt, in der wir leben, ist ganz von Gott. Wir sind aus diesem gemeinsamen Ursprung in Gott alle aufeinander angewiesen…. Trotz unterschiedlicher Auffassungen, wie wir das Verhältnis von Mensch zu Gott in Worte fassen.

Zurück zu dem Konzert „The Armed Man. A Mass for Peace“. Oder anders: was bedeutet Paulus Gedankengang nun für uns im Dom nach diesem Jenkins-Konzert? Es gehört zu den Grundkonstanten des Menschen, dass wir unser Leben mit Blick auf Gott beschreiben… oder bekennen… (selbst wenn wir Gott ablehnen… haben wir ja eine Haltung zu ihm) Paulus würde vielleicht sagen: „dieses Leben, diese Welt – egal wo oder wie es sich äußert – ist von Gott… dem kann sich niemand entziehen.“ Und gleichzeitig: „ja, das Bekenntnis zu Gott ist so vielseitig, wie wir Leute hier sind… mit all unseren einzigartigen Gefühlen und Gedanken, unserer Liebenswürdigkeit, wie Kratzbürstigkeit.“ Wir sind eben alle sündige Menschen… wie es Luther in etwas anderen Worten noch auf seinem Sterbebett sagte.

Und daher die hochaktuelle, zentrale Botschaft Paulus: „Lasst uns aufhören, uns gegenseitig zu verurteilen!“ Ertragt einander… heute ist Sonntag… Tag des Herrn. Heute sind wir hier um des Evangeliums willen und um Jesus in Frieden im Sakrament zu empfangen. Bekennen auf der einen Seite, und gleichzeitig den anderen in seiner anderen Auffassung ertragen… der Gegensatz bleibt und zugleich wissen wir, dass dieses Leben von dem einen Gott ist – eine Botschaft, von der auch Jenkins monumentales Werk erzählt.

L’homme armé ist zum Glück (bei aller Schönheit der vielen polyphonen Vertonungen im 15. und 16. Jahrhundert) im historischen Gedächtnis der Musikgeschichte und ihrer Musikliebhaber weitgehend aufgehoben. Bei Jenkins geht es am Ende in einem großen Friedensgesang unter. Der Friede siegt über den Krieg. Lebendig geblieben aber ist bis heute das Worte des Johannes: Christe, Du Lamm Gottes, der Du trägst die Sünd‘ der Welt, gib uns Deinen Frieden. Und den brauchen wir in Freiberg und die Welt mehr denn je.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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